Jens Claussen
· 22.11.2024
TOUR: Herr Baldinger, wie fällt Ihr Resümee zur bisherigen ersten Saison als World-Tour-Team aus?
Dirk Baldinger: Bis auf den Status hat sich für uns eigentlich gar nicht so viel verändert. Wir fahren die gleichen Rennen wie im Vorjahr, da wir letzte Saison auch schon als bestes Continental-Team automatisch für alle großen Rennen gesetzt waren. Der Etappensieg von Cédrine Kerbaol war natürlich das absolute Highlight. Dazu konnten wir unseren Rekord von 15 Saisonsiegen aus dem Jahr 2019 verbessern. Als World-Team hat man inzwischen 95 bis 110 Renntage pro Jahr, Tendenz steigend. Diese Herausforderung nehmen wir weiterhin an.
TOUR: Ceratizit-WNT wurde von der UCI zur Saison 2024 in die erste Division der World-Teams eingruppiert. War das ein geplanter Prozess?
Dirk Baldinger: Jein. Man hat in den Jahren 2018 und 2019 gemerkt, auch durch die Gerüchte um eine geplante Aufspaltung aller Mannschaften in World- und Continental-Teams seitens der UCI, dass sich im Frauenradsport nachhaltig etwas ändern wird. Mit dem Blick nach ganz oben mussten und konnten wir, nicht zuletzt durch eine erneute Erhöhung der Sponsorengelder durch Ceratizit, die Veränderungen mitgehen. Man muss sich das mal vorstellen: Nur durch den World-Team-Status hat man auf einmal eine Kostensteigerung von 400.000 bis 500.000 Euro für Gebühren an die UCI, den Anti-Doping-Kampf, die Zahlung von Mindestgehältern und die zwingende Erweiterung beim Personal (Anm. d. Red.: Die UCI verlangt von World-Teams einen Performance Director mit nachgewiesener Trainer-Qualifikation.).
TOUR: Nach Lisa Brennauers Karriereende 2022 entstand eine große Lücke. Welche Idee hatten Sie, diese zu schließen?
Dirk Baldinger: Wir wussten ja zeitig, dass Lisa aufhören will, und konnten uns dementsprechend früh auf dem Markt umschauen. Bei der Planung sind wir dann unserer Linie treu geblieben: junge Talente an Bord zu holen, die wir entwickeln können. Hierzu muss man sich dann aber auch mal einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren geben können, bis sich Erfolge einstellen. Siehe am Beispiel von Cédrine Kerbaol.
TOUR: Kerbaols Sieg bei der diesjährigen Tour de France Femmes war sicher das bisherige Highlight in der Teamgeschichte?
Dirk Baldinger: Wir haben schon an den Tagen zuvor gesehen, dass Cédrine extrem gute Beine hat. Wenn du dann aber im Auto sitzt und hörst, dass deine Fahrerin eine Tour-Etappe gewonnen hat – das ist einfach ein riesiges Glücksgefühl und kaum zu beschreiben.
TOUR: Sie haben mit Franziska Brauße, Lana Eberle und Lea Lin Teutenberg einige deutsche Bahn-Fahrerinnen im Team. Gibt es da eine besondere Zusammenarbeit mit dem Bund Deutscher Radfahrer?
Dirk Baldinger: Nein, nichts Spezielles. Aber immer wieder Bahn-Fahrerinnen im Kader zu haben, gehört zu unserer Philosophie. Damit haben wir auch in den Wintermonaten mediale Präsenz und Aufmerksamkeit. Und: Mit einem Teammitglied bei einer WM oder bei Olympia eine Medaille zu holen, freut natürlich auch den Sponsor.
TOUR: Können Sie etwas zum Team-Budget sagen, wie hat sich dieses in den letzten Jahren verändert?
Dirk Baldinger: Letztes Jahr lag das Durchschnittsbudget aller World-Tour-Teams laut Zahlen der UCI bei 3,8 Millionen Euro. Wir bewegen uns aktuell bei rund drei Millionen Euro, bei den großen Teams wie SD Worx - Protime oder Lidl-Trek kursieren Summen von fünf bis sieben Millionen Euro.
TOUR: Verträge von einigen Fahrerinnen laufen zum Saisonende aus. Leistungsstützen wie Marta Lach, Kathrin Schweinberger und Martina Fidanza verlassen das Team. Mit Sara Fiorin oder auch Sarah Van Dam wurden sehr junge, recht unbekannte Talente verpflichtet. Steht das Team vor einem Umbruch, und welche Herausforderungen warten für die kommende Saison auf Sie?
Dirk Baldinger: Natürlich, wir mussten mit dem Weggang einiger Leistungsträgerinnen, die bei größeren Teams unterschreiben konnten, etwas Federn lassen. Aber das gehört dazu, und damit können wir gut leben. Wir werden sechs Fahrerinnen aus dem jetzigen Kader halten, dazu kommen nach aktuellem Stand sieben Neuverpflichtungen. Wir gehen unseren Weg konsequent weiter, junge Sportlerinnen mit Potenzial zu verbessern.