Sandra Schuberth
· 14.11.2024
Erstmals fanden Cycling E-Sports Weltmeisterschaften zentral an einem Ort statt, in Abu Dhabi. Bei den ersten drei Austragungen nahmen die Athletinnen und Athleten noch von zu Hause aus teil - oder aus dem Vereinsheim des Rudervereins. Eine weitere Neuerung in diesem Jahr war die Austragungsplattform, die sich bis 2024 MyWhoosh gesichert hat.
Jason Osborne war der erste Weltmeister in der Disziplin Cycling E-Sports und konnte 2024 seine zweite Goldmedaille einfahren. Seine Zukunft sieht er nicht mehr im Straßenradsport, wo er zuletzt im Team Alpecin-Deceuninck tätig war, sondern im Gravelsport und E-Cycling. Wir hatten ihn im Interview.
Wie war die diesjährige WM für dich, mit der Austragung vor Ort?
Ich glaube, es war schon von Anfang an das Ziel der UCI, die WM live vor Ort auszutragen anstatt von zu Hause. Leider ist es erst im vierten Jahr dazu gekommen. Vor Ort ist die Stimmung viel besser und für Zuschauer ist es spannender, denke ich.
Ich glaube Abu Dhabi und die ADNAC Arena war ein top Ort für die WM. Es war sehr professionell aufgebaut und organisiert. Vom Visuellen war es wirklich gut. Ich bin gespannt, was die nächsten Jahre bringen, vor allem auch, wie man das noch toppen kann, weil es schon auf einem sehr guten Level war.
Auf YouTube sah man teilweise auch leere Sitze, was sicherlich, je nachdem, was gerade auf der Bühne passiert ist und je nach Uhrzeit, unterschiedlich war. Wie war die Stimmung vor Ort, das Publikum?
Es war fast wie auf einer Messe mit vielen Fahrradfirmen mit ihren Produkten. Die ersten beiden Sitzreihen waren VIPs vorenthalten, es waren ein, zwei Scheichs da. Die Reihen dahinter waren für die normalen Zuschauer. Man muss sagen, es war nicht bombastisch voll. Ich denke das Problem war, dass am selben Abend ein UFC Fight stattfand - und in den Emiraten ist Kampfsport sehr populär. Ich glaube, der Kampf hat einige Zuschauer eher dorthin gelockt als zur Cycling E-Sports WM. Trotzdem war die Stimmung gut.
Wie war es, auf die anderen WM-Teilnehmer zu treffen?
Das war gut. Auf der Plattform fahre ich ja gegen viele. Live gesehen habe ich sie jetzt das erste Mal. Es war sehr familiär und hat sich entspannt angefühlt. Es war ein bisschen anders als bei Straßenrennen, wo oft alle angespannt sind. Die E-Racer sind ein bisschen relaxter.
Neben der Austragung vor Ort hat sich zu diesem Jahr auch die Austragungsplattform geändert. Was ist anders an MyWhoosh im Vergleich zu Zwift?
Objektiv gesehen, ist die Grafik anders. Grafisch finde ich MyWhoosh schon weit fortgeschritten. Die Grafik ist modern, sie ist an Computerspiele angelehnt. Regelmäßig gibt es auch neue Welten und Stecken. Gerade in den letzten Monaten hat sich viel getan
Ich weiß noch, wie ich angefangen habe auf MyWhoosh. Vor drei Jahren bin ich dort das erste Rennen gefahren. Damals war es bei Weitem noch nicht auf dem jetzigen Stand.
Vom Spielverhalten ist es ein wenig anders als Zwift. Beim Windschatten zum Beispiel funktioniert der Algorithmus ein bisschen anders als auf Zwift. Da muss man sich erstmal dran gewöhnen. Wenn man es einmal drin hat, dann läufts.
Wie war das Format der diesjährigen WM für dich?
Vom Kurs war das nicht unbedingt passend für mich. Strategisch musste ich mir etwas überlegen. Leider hat man anhand der Punktzahl nicht gesehen, wie dominant jemand im Rennen war. Das gibt das Format einfach nicht her. Das war bei mir so und bei den Frauen das Gleiche. In dem Rennen waren Mary Kate McCartney und Gabriela Schumann allein vorn, beide waren echt dominant. Anhand der Punkte hat man das nicht so deutlich gesehen. Anhand der Punkte war es trotzdem sehr eng beieinander. Das fand ich etwas schade.
>> Wir haben auch mit der besten deutschen Teilnehmerin gesprochen. Merle Brunnée ist Vollzeit-Ärztin und betreibt den Profisport, Duathlon, Triathlon und Cycling E-Sport nebenbei. Wie ihr der Spagat zwischen Vollzeitjob und Profisport gelingt und wie viele Stunden sie pro Woche trainiert, lest ihr im Interview.
Was kannst du über deine Strategie verraten?
Die erste Etappe war ein 30-Sekunden-Sprint. Sprint ist nicht meine Stärke. Ich kann okay sprinten, aber beim Sprint mache ich keinen Unterschied. Im Halbfinale war der Sprint nicht dabei. Ich wusste also noch nicht wirklich, was auf mich zukommt.
Die Taktik habe ich mit meinem Trainer und mit Martin Maertens, der ebenfalls im WM-Finale dabei war, besprochen.
Der Sprint lief okay. Alle sind super langsam in den Sprint gegangen. Auf der Startlinie waren wir mit 3 km/h. Es dauert bis man die Geschwindigkeit aufgebaut hat. Dadurch waren die Zeiten nicht so schnell. Nach dem ersten Sprint war ich 18., also sehr weit hinten. Das gab mir also nur drei Punkte. Ich habe während der Etappe noch ewig überlegt, ob ich nochmal sprinten soll, um meine Zeit zu verbessern oder nicht. Ich habe es gelassen.
Nach der ersten Stage war ich schon etwas bedrückt und hatte Selbstzweifel. Ich wusste nicht, ob ich das nochmal gut machen kann. Aber ich wusste, “jetzt müssen alle Karten auf den Tisch, jetzt muss ich all-in gehen und das Ding möglichst solo fahren.”
Bei der zweiten Etappe gab es unten am Berg, oben und im Ziel Punkte. Das ist relativ fies, weil man mit einem Sprint in den Berg reinfährt und dann den Berg hochballern muss. Den ersten Sprint in der Etappe bin ich nicht so schlecht gefahren, ich war dritter oder so - ich war selbst überrascht. Da habe ich 17 Punkte geholt. Dann war der Fokus auf dem eigentlichen Berg, ungefähr vier Minuten dauerte der Anstieg. Ich wollte erstmal mit den anderen mitfahren und ab der Hälfte des Berges Tempo aufbauen und Druck ausüben. Das habe ich genau so gemacht und schnell gemerkt, ich reiße hier eine Lücke, genau das, was ich will. Dann bin ich allerdings nicht voll losgesprintet, sondern habe noch etwas in der Reserve gelassen. Ich wusste, dass die anderen oben nochmal um die Punkte sprinten werden. Um nicht ins Bedrängnis zu geraten, musste ich noch einen Sprint in Petto haben.
Ich bin sogar noch mit der Lücke über den Berg gefahren und habe mir die maximale Punktzahl gesichert. Oben bin ich dann weiter gefahren, während die anderen scheinbar die Beine hochgelegt haben. Mit 15, fast 20 Sekunden Vorsprung bin ich dann ins Ziel. Das Stück nach dem Berg war schon unangenehm. Die Wellen, die da noch kamen, taten weh. Ich war von Position 18 aufs Podium gefahren - aber noch nicht ganz vorn. Es war noch alles offen, ich musste weiter durchziehen und bei der dritten Etappe nochmal genau das Gleiche machen - also ausreißen und vornewegfahren.
Die dritte Stage bestand aus vier Runden mit jeweils einem 40-Sekunden-Anstieg. In der letzten Runde war oben am Anstieg das Ziel.
Vor dem ersten Sprint kann man nicht ausreißen, den muss man mit der Gruppe mitfahren. Mein Ziel in der ersten Runde war, möglichst gute Punkte einzusammeln und nicht zu viel zu verlieren. Attackiert habe ich direkt in der ersten Runde, und zwar genau da, wo ich es mir vorher ausgemalt hatte - an einem kleinen Gegenanstieg nach der Abfahrt. Ich habe immer geschaut, was die hinter mir fahren und bin 1 bis 1,5 Watt pro Kilo mehr gefahren.
Ich habe kein Tempo angeschlagen, was am Limit war, ich wusste ja, dass die drei Anstiege noch kommen und ich noch etwas in der Reserve haben muss. In der letzten Runde, hätte ich den Berg fast locker hochfahren können und wäre trotzdem noch als erster oben angekommen.
Hast du während der Rennen Kohlenhydrate zu dir genommen oder nur zwischen den Rennen?
Ich habe auch während der Rennen aus meiner Flasche getrunken, da waren natürlich auch Kohlenhydrate drin. Gels hatte ich auch da, davon habe ich jeweils nach der Etappe eins zu mir genommen. So lang waren die Rennen ja nicht, da musste man also nicht so viel zuführen.
Wie lang waren die Pausen zwischen den Etappen?
Unterschiedlich. Maximal 5 bis 10 Minuten.
Wie geht es deiner Hüfte? Die hat ja lange Probleme gemacht.
Im Februar ging es mit den Hüftproblemen los, das hat mich die gesamte Saison begleitet. Nach dem Halbfinale für die Cycling E-Sports WM war es ganz schlimm. Ich bin das Semi Final quasi mit einem Bein gefahren und war 14. von 20, die sich qualifiziert hatten.
Ich wusste, wenn ich bei der WM eine Chance haben will, dann muss ich hier jetzt alle Maßnahmen ergreifen. In Frankreich im Trainingslager habe ich einen Arzt gefunden, der mir helfen konnte. Ganz weg ist es aber auch jetzt noch nicht und ich habe es selbst im WM-Finale noch gemerkt. Ich bin froh, dass ich den Höhepunkt der Saison mit bestmöglichem Ergebnis beenden konnte, trotz der Hüfte. Ich arbeite weiter daran. Der Druck durch Wettkämpfe ist erstmal weg.
Weißt du, was die Probleme verursacht?
Es war eine Entzündung im Hüftgelenk. Die Ursache war vermutlich die Einlage, die auf der rechten Seite anders war als auf der linken. Dadurch habe ich die Hüfte immer eingedreht. Nachdem ich die Einlagen korrigieren lassen habe war die Bewegung wieder normal. Mittlerweile ist die Entzündung weg, aber irgendwas ist noch nicht ganz okay.
Bisher konnte man lesen, dass du mit dem Straßenradsport aufhörst: A wegen der Hüftproblematik, B, weil du beim Indoor-Cycling mehr Chancen für dich siehst und C am Ende auch mehr Spaß hast. Kannst du dazu noch etwas ergänzen?
Ja, es macht mir auch mehr Spaß, weil ich mich besser auf die Wettkämpfe vorbereiten kann. Seit ich das Team Alpecin-Deceuninck verlassen habe, bin ich wieder bei meinem alten Coach.
Beim Straßenradsport fand ich extrem schwierig, dass man eigentlich nichts timen kann von der Form her. Im Vergleich dazu Rudern: Da gibt es vier oder fünf Wettkämpfe im Jahr: Drei Worldcups, eine EM und eine WM. Das ist alles kalkulierbar, darauf kann man die Form gut aufbauen. In der World Tour fährt man so viele Rennen. Ich fand es unfassbar schwierig, da mal zu einem Rennen in Höchstform zu sein. Es war mehr wie eine Lotterie. Man fuhr zu einem Rennen und wusste nie, wo man steht. Ich hatte auch mal extrem gute Rennen, wie die Tour of Austria. Da hat es schon für ganz vorn gereicht von der Form. Aber es war unkalkulierbar. Das hat mich gestört.
An der E-Sports WM sieht man es ganz gut. Wenn ein Wettkampf als Zielwettkampf definiert ist und ich mich gezielt darauf vorbereite, der Trainer das Training auf dieses Event auslegt, dann bin ich auch in Höchstform und kann abliefern. Das habe ich im Straßenradsport ein bisschen vermisst.
Nachdem du deine Karriere im Straßenradsport beim Team Alpecin-Deceuninck beendet hast, willst du dich auf E-Sports und Gravel-Racing konzentrieren. Welche Rennen stehen als nächstes an?
Ja, über den Winter fahre ich verschiedene Rennen, bald gibt es eine Serie aus den USA, die fahre ich mit. Ich plane aber auch schon die nächste Saison. Nächstes Jahr würde ich gern die Gravel-WM fahren und auch Unbound - also die großen Rennen. Ich bin da immer in Abstimmung mit meinem Coach und wir werden es dementsprechend aufbauen. Mit den Sponsoren, die ich jetzt habe - Radsponsoren - bin ich materialtechnisch weit vorn. Es muss also nur noch mit der Form gut klappen. Ich bin zuversichtlich, weil ich mich viel besser darauf vorbereiten kann.
Das heißt, du gehst nächstes Jahr all-in in Cycling E-Sports und Gravel?
Genau, das sind meine Pläne. Mit der World Tour habe ich im Kopf abgeschlossen. Ich vergleiche mich da jetzt auch nicht mehr, sondern ich vergleiche mich nur noch mit meiner neuen Welt, was Gravel und E-Sports ist. Damit bin ich glücklich, mal schauen, was die Zukunft bringt.
Bist du schonmal ein Gravel-Rennen gefahren?
Ich fahre relativ viel Gravel im Training, aber Rennen bin ich noch nicht gefahren, muss ich ehrlich sagen. Ich bin sehr gespannt, was da auf mich zukommt. Klar ist Gravel etwas anderes als Straße, das kann man eigentlich nicht vergleichen. Aber ich habe die Erfahrung von der Straße und vom Peloton. Ich habe keine zu große Angst, in die ersten Gravel-Rennen zu gehen.
Weißt du schon, welches dein erstes Gravel-Rennen sein wird?
Ich habe Santa Vall angepeilt. Das ist ein Stage Race Anfang Februar in Spanien, drei Etappen. Wörthersee Gravel fahre ich auch, am 6. April. Etwa einen Monat später ist Unbound. Je nachdem, wie es in den Plan passt, kann vielleicht noch ein Gravelrennen reingeschoben werden. Das ist vielleicht auch abhängig davon, ob ich mich direkt für die WM qualifiziere.
Wie ergänzen sich Gravel und Cycling E-Sports?
Die ergänzen sich gut, denke ich. Gravel-Rennen wie Unbound haben ein ganz anderes Anforderungsprofil als E-Sports-Rennen, Unbound ist ja fast schon ein Ultra. Durch E-Sports behält man die Spritzigkeit.
Wie siehst du die Zukunft des E-Cyclings?
Ich hoffe, gut, glücklicherweise ist in den Emiraten viel finanzieller Support. Die pushen das und wollen das vorantreiben. Ich fände es cool, wenn es nochmal professioneller wird. MyWhoosh hat jetzt den ersten Schritt gemacht mit dem ersten Live-Event. Ich glaube, damit haben die einen fantastischen Job gemacht. Von der Professionalität her ging es nicht besser. Man muss schauen, wie attraktiv Cycling E-Sports für die Leute ist und werden kann. Leider ist E-Sports ja immer noch eine Randsportart.