Biniam Girmay im Interview“Harte Arbeit, Glück, Antizipation”

Biniam Girmay war einer der Überflieger der Tour de France 2024
Foto: Getty Images; ANNE-CHRI
Biniam Girmay hat Radsport-Geschichte geschrieben. Als erstem schwarzafrikanischen Rennfahrer gelangen ihm drei Etappensiege bei der Tour de France und der ­Gewinn des Grünen Trikots des Punktbesten. TOUR traf ihn anlässlich der Präsentation der Tour de France 2025 zum kurzen Gespräch.

Am Tag der Präsentation des neuen Tour-Parcours ist ­Biniam Girmay der einzige Profi aus dem Kreis der Trikotgewinner des Sommers 2024, der sich im Palais des Congres von Paris einfindet. Girmay, 24 Jahre alt, grauer Anzug, weißes Hemd, stammt aus Asmara, der Hauptstadt von Eritrea. Bei der Frankreich-Rundfahrt im vergangenen Juli gewann er als erster Schwarzafrikaner eine Etappe der Tour de France, es war das dritte Teilstück, das von Piacenza nach Turin führte. Im weiteren Verlauf des Rennens gelangen Girmay in Colombey-les-Deux-Eglises und in Villeneuve-sur-Lot noch zwei weitere Tageserfolge. Dabei trug der Sprinter schon das Grüne Trikot des Punktbesten, das er bis zum Ende des Rennens behielt. Am Rande der Präsentation gab es eine Gelegenheit für TOUR, mit Girmay unter vier Augen zu sprechen.

Das Interview wurde geführt von Stephan Klemm

TOUR: Herr Girmay, mit Ihrem ersten Sprinterfolg in Turin ist Ihnen ein großer Coup gelungen. Erinnern Sie sich noch an die Umstände Ihres Erfolges?

Biniam Girmay: Natürlich. Ich weiß auch noch ganz genau, welche Gefühle mich durchströmt haben, als ich realisierte, dass ich als Erster die Ziellinie überquert hatte. Es war ein Glücksrausch, das hat mich komplett umgehauen, ich konnte es wirklich nicht glauben. Als ich es einigermaßen begriffen hatte, konnte ich nur über mich staunen. Aber es war ein sehr schönes Gefühl.

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TOUR: Staunten Sie auch darüber, dass Sie auf einer völlig flachen Geraden den Sieg herausgefahren hatten? Normalerweise mögen Sie es lieber, wenn die Ziel­gerade etwas ansteigt.

Biniam Girmay: Das kam noch hinzu, das hat mich auch verblüfft. Aber vor allem habe ich mir immer wieder gesagt, dass ich weiß, wo ich herkomme, wie weit weg angesichts meiner Vita, meiner Jugend in Eritrea, die Erfüllung dieses Traums für mich war. Ich habe schon vor der Tour de France Siege herausgefahren und ich habe Rückschläge erlitten, Niederlagen, Stürze, ich kenne beide Gefühlslagen. Ich weiß, wie schwer es ist, ein Radrennen zu gewinnen, das habe ich am eigenen Leib erfahren. Und ich habe mit vielen Fahrern gesprochen, die mehrmals an der Tour teilgenommen, dabei aber keine einzige Etappe gewonnen haben. Es zu schaffen, ist harte Arbeit, Glück, Antizipation – dass ich aber gleich drei Etappen gewinnen konnte, ist weiterhin unglaublich. 2024 war ich erst zum zweiten Mal bei der Tour dabei. Und dennoch bin ich mit der Ambition an den Start gegangen, mich sehr weit vorne in den Sprints zu zeigen. Hat geklappt.

Biniam Girmay war einer der Überflieger der Tour de France 2024Foto: Getty Images; ANNE-CHRIBiniam Girmay war einer der Überflieger der Tour de France 2024

TOUR: Sie haben in Turin Ihre erste Tour-Etappe gewonnen, die Stadt dürfte in Ihrer privaten Sportlervita einen Sonderplatz erhalten.

Biniam Girmay: Das ist so, auf jeden Fall. Ich war so dankbar nach diesem Erfolg. So etwas komplettiert dich und deine Biografie. Der erste Etappensieg einer Tour bleibt dir immer im Gedächtnis. Ich konnte danach vor Aufregung maximal drei Stunden schlafen. Das Gefühl des Sieges holte mich immer wieder ein. Das war wunderschön. Dass ich dann noch eine zweite und auch noch eine dritte Etappe gewinnen konnte, war vor dieser Tour außerhalb meiner Vorstellungskraft. Vom Grünen Trikot ganz zu schweigen. Und erst recht von einem Etappensieg im Grünen Trikot. Das ist mir sogar zweimal gelungen.

Durchbruch: Mit dem dritten Etappensieg bei der Tour und dem Gewinn des Grünen Trikots katapultierte sich Girmay in die WeltspitzeFoto: Getty Images; Tim de WaeleDurchbruch: Mit dem dritten Etappensieg bei der Tour und dem Gewinn des Grünen Trikots katapultierte sich Girmay in die Weltspitze

TOUR: Dass Sie obendrein das Grüne Trikot der Tour gewonnen haben – wie haben Sie das aufgenommen?

Biniam Girmay: Das macht mich vor allem sprachlos. Du musst dankbar sein, hochgradig dankbar. Normalerweise kannst du als Sprinter nicht alles gewinnen, einem von allen Startern gelingt es, dieses Trikot zu gewinnen. Dass ich es war, macht mich wirklich sehr stolz.

TOUR: Wie sind Sie bei Ihrer Rückkehr kurz nach den Olympischen Spielen in Paris in Eritrea empfangen worden?

Biniam Girmay: Ich bin in einem Autokorso durch die Straßen von Asmara gerollt, ich war mittendrin. Das war unbeschreiblich, Tausende Menschen, Zehntausende waren auf den Straßen, vielleicht sogar die Hälfte der Einwohner unserer Hauptstadt. Unglaublich. Es gibt YouTube-Videos von meiner Ankunft und der Feier, die sich daraufhin ergeben hat – es ist weiterhin unglaublich für mich, das alles aufzunehmen, wenn ich mir die Videos dazu ansehe.

Volksheld: Im Ziel der Tour de France wird Girmay von eritreischen Landsleuten bejubeltFoto: Getty Images; TOM GOYVAEVolksheld: Im Ziel der Tour de France wird Girmay von eritreischen Landsleuten bejubelt

TOUR: Die nächste Tour bietet zu Beginn einige Chancen für die Sprinter. Was ist Ihr Eindruck vom Parcours des Jahres 2025?

Biniam Girmay: Ich würde sagen, dass die ersten zwei, drei Etappen durchaus etwas für die Sprinter sein können. Und wir Sprinter wissen auch, dass der erste Tagessieger das Gelbe Trikot erobern wird, das ist natürlich eine besondere Motivation für alle. Allerdings sind alle Etappen gespickt mit Schwierigkeiten, ich glaube, bei der Tour gibt es nicht mehr so wirklich flache Etappen. Mir kommt das aber sehr entgegen. Ich würde schon sagen, dass der neue Parcours sehr ausgewogen ist.



TOUR: Am Ende aber wird die Strecke richtig schwer. Wie beurteilen Sie die hoch­anspruchsvollen Alpen-Etappen in der dritten Woche?

Biniam Girmay: Es ist sehr heftig, was in der letzten Woche auf uns wartet. Etappe 18 in den Alpen hat 5500 Höhenmeter und sie führt zum Abschluss hinauf auf den Col de la Loze, das ist sehr hart. Aber nur einen Tag später stehen uns auf einer kurzen Strecke von 130 Kilometern noch mal 5000 Höhenmeter bevor. Das wird richtig stark schmerzen, da bin ich sicher.

TOUR: Sie haben eben beschrieben, dass die ersten Tage durchaus im Sinne der Sprinter sein könnten. Für Sie dürfte es nach den Erfahrungen der Tour 2024 auch wieder um Etappensiege gehen. Spüren Sie angesichts Ihrer Erfolge einen gewissen Bestätigungs- und Erfolgsdruck?

Biniam Girmay: Natürlich versuche ich so gut wie möglich zu überzeugen, immer wenn ich am Start bin, auch bei der nächsten Tour de France. Aber bis dahin ist es noch ein sehr langer Weg. Ich werde 2025 auch einige Klassiker fahren, aber die Tour wird in der kommenden Saison mein Hauptziel sein. Ich kann aber nicht darauf setzen, dass ich dann die verrückte Zeit dieses Sommers noch einmal wiederholen kann. Ich kann nur betonen, dass ich nicht erwartet ­hatte, auch nur eine Etappe bei der Tour zu gewinnen. Aber der Ehrgeiz ist auf jeden Fall bei mir vorhanden, auch 2025 so richtig zu glänzen. Und das Grüne Trikot zu vertei­digen, auch wenn es schwer ist, so etwas zu planen.

Zur Person Biniam Girmay

  • Geboren: 2. April 2000 in Asmara, Eritrea
  • Größe: 1,84 Meter
  • Gewicht: 70 Kilogramm
  • Profi seit 2021

Der Sprintspezialist war 2022 der erste Afrikaner, der mit Gent-Wevelgem ein klassisches Rennen gewann. Im selben Frühjahr siegte Girmay in einem Massensprint beim Giro, 2023 gewann er eine Etappe der Tour de Suisse. Seinen internationalen Durchbruch schaffte ­Girmay, der 2018 ein Aufbauprogramm der UCI im schweizerischen Aigle durchlief, bei der Tour de France im Sommer 2024. Dort gewann er drei Etappen und das Grüne Trikot des Punktbesten. Seit 2021 fährt Girmay für das belgische Team Intermarche-Wanty.

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