Interview Dirk Zedler“Das war eine Pionierleistung”

Thomas Musch

 · 10.01.2025

Interview Dirk Zedler: “Das war eine Pionierleistung”Foto: Oliver Hees
Dirk Zedler im Interview
Dirk Zedler hat zusammen mit Robert Kühnen vor 30 Jahren den TOUR-Test entwickelt und auf den Weg gebracht. Heute ist der Diplom-Ingenieur, Gutachter und Sachverständige ein international führender Fahrrad-­Experte. Im ­Gespräch blicken wir auf 30 Jahre TOUR-Testgeschichte und die Rennrad-Gegenwart.

TOUR: Vor 30 Jahren hat TOUR begonnen, Rennräder reproduzierbar auf Prüfständen zu testen, zunächst auf Tretlager- und Lenkkopfsteifigkeit. Was war die Motivation dafür und wie kam es dazu?

Dirk Zedler: Mitte bis Ende der 1980er-Jahre begann die erste Carbonwelle und zugleich erreichten geschweißte Aluminiumrahmen aus den USA Europa. Während Carbon aufgrund von Qualitätsproblemen zunächst ­wieder nahezu auslief, waren Alu-Rahmen von Klein und Cannondale und später dann von Müsing aus Deutschland und Principia aus Dänemark ernst zu nehmende Herausforderer der etwas angestaubten italienischen Stahlrahmenbauer. Deren Reaktion auf die Leichtmetallrahmen waren immer dünnwandigere Rohre, die bei Bergabfahrten zunehmend, sagen wir mal, eine ­Herausforderung darstellten. Als junge Ingenieure konnten Robert und ich nun entweder gegen das Ego der Klassiker anschreiben oder aber Beweise für technische Eigenschaften beibringen. Also haben wir uns hingesetzt und richtig klischeehaft in der Bio-Bauernhofkneipe erste Test-Skizzen auf Servietten gemalt.

TOUR: Wie wurde das von Lesern und der Rennradbranche aufgenommen?

Dirk Zedler: Deutsche Leser sind sehr technikaffin und fanden das von Anfang an gut. Relativ schnell haben wir dann bei TOUR Marktübersichten erstellt, die nicht nur Preise, Farben, Größen und Gewichte enthielten, sondern messwert­basierte Entscheidungskriterien. Die Rad- und Rahmenhersteller in Mitteleuropa und den USA waren begeistert, die Südländer dagegen nicht. Für TOUR entwickelte sich eine Zweiklassengesellschaft: die Hersteller, die sich den Herausforderungen stellten und vorne dabei sein wollten, und die Hersteller, die auf Besitzstandswahrung setzten und keine Räder mehr in die Tests schickten. Heute, 30 Jahre später, arbeiten übrigens auch die früheren Gegner mit den Nachfahren der Originaltests von TOUR.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

TOUR: Wie haben sich Rennräder seit Einführung der TOUR-Tests weiterentwickelt?

Dirk Zedler: Durch die TOUR-Tests, bei denen Fahreigenschaften in Zahlen gefasst werden, wurde Oversizing salonfähig, also großvolumigere und dünnwandigere Rahmenrohre. Die Hersteller begannen einen regelrechten Wettlauf um größtmögliche Steifigkeit bei geringstem Gewicht. Der auf dem Lenkkopf-Prüfstand beruhende Stiffness-to-Weight-Faktor wurde international ein Werbemittel. Das wurde teils auf die Spitze getrieben und Anzeigenkampagnen gestartet, weil ein Rahmen einen Punkt besser war als der Mitbewerber. Das konnte den Lesern im Grunde egal sein, nicht jedoch, dass die Rahmen immer unkomfortabler wurden. Dem wirkten wir ab etwa Mitte der 2000er-Jahre mit Prüfungen des Komforts an Gabel und Hinterbau ­entgegen. Heute ist es gerade mit dem Werkstoff Carbon möglich, leichte, fahrtstabile und dennoch komfortable Rahmen-Sets zu bauen – die Quadratur des Kreises, mit metallischen Werkstoffen quasi unmöglich.



TOUR: Sind Rennräder Stand 2025 sichere Fahrzeuge, um damit am Straßenverkehr teilzunehmen?

Dirk Zedler: Heute bestreitet wohl niemand mehr, dass die Pionierleistung und Ausdauer von TOUR und später auch BIKE das Fahrrad deutlich besser und fahrsicherer gemacht hat. Doch das war nicht die einzige Verbesserung, die TOUR angestoßen hat. Mit zahlreichen Artikeln zeigten wir auf, welche Defizite Fahrräder in puncto Haltbarkeit, ergo ­Sicherheit hatten. Wesentliche Konstruktionsmerkmale heutiger Rennräder gehen auf meine Erkenntnisse in der Gutachtenerstellung zurück, die wir mit TOUR in die Branche brachten. Viele Jahre vor den Normen sensibilisierte TOUR so die Hersteller für die Themen Haltbarkeit und Sicherheit. Die Sicherheit heutiger Rennräder liegt sehr deutlich höher als vor 10, 20 oder gar 30 Jahren.

TOUR: Moderne Rennräder sind heutzutage fast ausschließlich auf Carbonrahmen aufgebaut. Ist das auch aus technischer Sicht das beste Material? Wie haltbar sind Carbonrahmen? Gibt es noch Risiken?

Dirk Zedler: Carbon ist das Rahmenmaterial der Wahl für sportliche Fahrräder – ohne Wenn und Aber. Mit keinem anderen Material lassen sich die gewünschten Eigenschaften auch nur annähernd auf dem Niveau umsetzen. Auch hinsichtlich Betriebsfestigkeit, aber zunehmend auch Überlast und Stoßverhalten, hat Carbon unglaubliche Fortschritte gemacht. Die größten Gefahren gehen von den Nutzern aus, wenn man zum Beispiel die Klemme des Radträgers am Oberrohr platziert und ohne Gefühl andreht.

TOUR: Wie ist der Trend zur Systemintegration aus technischer Sicht zu beurteilen?

Dirk Zedler: Technisch bietet Systemintegration große Chancen für ein aufgeräumtes und dadurch auch aerodynamisches Fahrrad. Nachteilig ist der deutliche Anstieg des Aufwands bei Wartung und Reparatur. Manche Konstruk­tionen innenverlegter Züge können einen Mechaniker zur Weißglut treiben. Wartung wird aufwendiger und teurer. Nachteilig ist auch, dass Reparaturen nur mit Originalteilen möglich sind, und nicht jeder Hersteller bevorratet diese in ausreichender Stückzahl.



TOUR: Was sind die häufigsten technischen Probleme an Rennrädern aus Sicht des Sachverständigen?

Dirk Zedler: Im Vergleich zu früher gibt es da deutlich weniger zu ­befürchten. Konstruktionen und Prüfwesen sind signifikant besser geworden, aber auch das Verständnis für den Werkstoff ist bei Mechanikern und Nutzern gewachsen. Kritisch sind nach wie vor Gabelschäfte aus Carbon. Da haben wir einige Rückrufe begleiten müssen, und auch aktuell hat ein Hersteller einen Rückruf laufen. Zweiter Punkt sind sehr leichte Sättel und Sattelstützen. Selbst unter leichten Fahrern brechen zum Beispiel Carbon­sattelgestelle, wenn diese auf eine wenig geeignete Sattelstütze treffen. Daher ist man gut beraten, nicht allzu wild in ­Eigenregie umzubauen.

Meistgelesen in der Rubrik Event