Während die Straßenprofis bei Paris-Roubaix über das Kopfsteinpflaster heizten, trafen sich in Velden am Wörthersee Gravelprofis, Hobbysportlerinnen und -sportler zum Qualifikationsrennen für die Gravel-WM 2024. Mit am Start war auch TOUR-Redakteurin Sandra Schuberth.
Die Veranstaltung war hervorragend organisiert. Vorab gab es regelmäßig alle wichtigen Informationen per E-Mail und sogar per SMS mit Links zu den Infos. Am Samstagabend erreichte mich eine Mail, in der die Startaufstellung der Frauen im Detail erklärt wurde. Wir durften erst in den Startblock als die Elite-Männer gestartet waren. Es gab einen Sammelpunkt für die Elite-Fahrerinnen und einen für alle Altersklassen. So war sicher gestellt, dass die Elite vorn stehen kann.
Die Strecke war gut gekennzeichnet und abgesperrt. Dennoch sollte man immer aufmerksam sein, gerade, wenn der Track von Gravel auf Straße wechselt. Wenige Meter vor mir schoss ein Radfahrer auf einer Straße über die Strecke, der die Straßensperrung ignoriert hatte. An den Verpflegungsstellen gab es Wasser, Iso und Cola. Auch Bananenstücken habe ich gesehen. Gels habe ich keine gesehen, aber auch nicht gesucht.
Angereist bin ich am Freitagabend mit einer Gruppe aus Stuttgart. Gemeinsam wurde gekocht und gegessen, bevor sich alle schlafen legten. Samstagmorgen starteten wir gemeinsam mit einem entspannten Frühstück, danach schwangen wir uns auf die Räder, um uns die Strecke anzuschauen. Im Audsaid-Podcast hat Paul Voß, der später den zweiten Platz auf dem Elite-Podium belegen wird, mit Johnny Hoogerland gesprochen. Dabei drehte sich viel um einen langen und steilen Anstieg. Hoogerland ist nicht nur ehemaliger Straßenprofi, sondern auch amtierender Gravel- und Gran Fondo-Weltmeister in seiner Altersklasse.
Meine Reisegruppe zeigt sich wenig beeindruckt von dem steilen Anstieg, sind wir größtenteils von Gravel-Ultracycling-Rennen doch ganz andere Anstiege gewohnt. Auch die Gravelabschnitte sind verglichen mit Ultracycling-Events wie dem Seven Serpents leicht.
Der Gravel macht mir also nichts aus. Dafür habe ich großen Respekt vor dem Fahren in der Gruppe und vor den Abfahrten, auch wenn die meisten auf Asphalt sind. Auch die Enge der Strecke hat in meinem Kopf schon die schlimmsten Befürchtungen geweckt.
Nach der gemeinsamen Streckenbesichtigung steuerten wir den Supermarkt an und kauften fürs Mittagessen ein.
Dann spazieren wir zur Registrierung und eine Runde über das Expo-Gelände. Alle Namen sind auf einem großen Plakat zu finden. Wir müssen lachen, als wir uns dabei wiederfinden, wie wir unsere eigenen Namen fotografieren. Hier der Beweis:
Am Abend bereiten wir die Räder vor. An einem Rad wird die Kurbel gewechselt, um ein größeres Kettenblatt fahren zu können. Der Luftdruck wird überprüft, Ketten gewachst und die Startnummern ans Rad montiert - eine an die Sattelstütze, eine an den Lenker - eine dritte kommt später noch ans Trikot.
Das Merida Silex 10K habe ich mit Schwalbe G-One RS Reifen in 40 Millimeter Breite ausgestattet und mit einem Fizik Tempo Aliante Sattel. Die Keego-Flasche mit Fidlock-Halterung hat im Rennverlauf als die richtige Wahl herausgestellt - mehr dazu später. In meiner Evoc-Hydro Pro Trinkweste (z.B. hier erhältlich) habe ich 1,5 Liter Wasser mit Kohlenhydraten. In den vorderen Fächern sind meine Gels verstaut. Gummitierchen finden in der Trikottasche Platz.
Punkt 9 Uhr starten die Elite-Männer ihr Rennen. Die Altersklassen-Männer haben sich weiter hinten in ihren jeweiligen Startblöcken aufgestellt. Sie müssen aber noch warten, nach den Elite-Männern sind erstmal die Frauen dran. Vorne steht die Elite, dann die Altersklassen. 9:05 fällt der Startschuss. Die nächsten Startblöcke starten im fünf Minuten-Takt, bis alle auf der Strecke sind.
Die meisten müssen drei Runden absolvieren, das heißt drei Mal 48,8 Kilometer und drei Mal 560 Höhenmeter. Frauen über 50 und Männer über 60 sind nach zwei Runden fertig.
Während meines Rennens, das 5 Stunden und 39 Minuten dauerte, habe ich rund 360 Gramm Kohlenhydrate zu mir genommen und 2,5 Liter getrunken:
Wie immer muss sich zu Beginn erst einmal alles sortieren. Das Frauen-Feld zieht sich schnell auseinander. Ich atme erst einmal durch, das befürchtete Riesen-Feld bleibt erst einmal aus. Okay, das hätte ich mir auch im Vorfeld denken können, da der Start getrennt von den Männern erfolgte. Im steilen Anstieg kommen die ersten Altersklassen-Männer von hinten. Jetzt wird es doch eng auf dem Weg. Nicht verwunderlich, dass bald die ersten absteigen müssen. Nun ist schieben statt Pedalieren angesagt. Später auf Runde 1 versuche ich immer wieder, in Gruppen, die mich überholen, reinzufahren und dranzubleiben. Leider klappt das nicht, ich verschieße nur unnötig Körner. Irgendwann sehe ich es ein und fahre allein mein Tempo. Es ist zäh. Ein paar Kilometer bevor die erste Runde vorbei ist, wartet ein Anstieg und oben die zweite Verpflegungsstation. Ich fahre vorbei in Richtung Ziel. Noch zwei Runden liegen vor mir. 01:47:14 habe ich für die erste Runde gebraucht.
In der zweiten Runde kann ich immer mal wieder mit anderen zusammen fahren. Das funktioniert allerdings nicht so gut. Hier ist mehr jeder für sich gefahren. Das habe ich bald eingesehen und bin weiter größtenteils allein gefahren. In der ersten Abfahrt staune ich nicht schlecht, hier liegen zahllose Flaschen. Der holprige Asphalt hat hier scheinbar vielen Fahrern die Flaschen aus den Haltern katapultiert. Meine Flasche sitzt fest. Später auf der Runde verrät mir ein Blick auf mein Garmin Edge 1040, ich trete gar nicht so viele Watt, wie ich dachte, dass ich treten könnte. Gerade in Flachstücken - und davon gab es viele - fällt es mir schwer. Schade. “Nicht drüber nachdenken, Sandra, weiter fahren” sage ich mir. Am Ende der zweiten Runde fülle ich mir meine Wasserflasche auf. Dann habe ich für Runde drei noch gut 500 Milliliter. Und es kommt noch eine Verpflegungsstelle, falls ich mehr brauche.
Mein Gefühl trügt mich nicht, die zweite Runde war langsamer als die erste: 01:53:18. Das sehe ich im Rennverlauf aber nicht, sondern werde es erst später in der Ergebnisliste sehen.
Auf der letzten Runde mache ich weiter wie davor. Treten, treten, treten. Wenig Watt aber Hauptsache voran kommen. Großteils fahre ich allein. Vor mir und hinter mir sind einzelne Fahrer. An einem kurzen Anstieg will ich aus dem Sattel, der innere Teil des vierköpfigen Oberschenkelmuskels zeigt Krampfansätze. “Auch das noch!” denke ich. Beim nächsten Versuch passiert das gleiche auf der anderen Seite. Von jetzt an versuche ich, im Sattel sitzen zu bleiben. Nur kein richtiger Krampf, bitte! 1:58:20 brauche ich für Runde 3.
Als Gesamtzeit ergibt sich daraus 5 Stunden 39 Minuten und 8 Sekunden. Ich erreiche Platz vier in meiner Altersklasse. Von acht. Das heißt, ich konnte mich nicht für die WM qualifizieren. Ich bin enttäuscht, dass es nicht so lief, wie ich es mir vorgestellt habe. Auf der Rückfahrt schmieden wir Pläne, welches Rennen wir noch fahren können. Es bleibt spannend.
Im Ziel empfängt mich meine Crew. Wir tauschen uns aus über das Rennen und wir essen Eis. Dann rollen wir mit den Rädern zur Unterkunft, duschen und gehen zügig wieder zurück zum Ziel und zur Bühne, um die Ehrung der Siegerinnen und Sieger mitzuerleben.
Gestern war ich enttäuscht, heute sehe ich meine Leistung realistisch. Ein Zitat von Yoda passt hier sehr gut: “viel zu lernen du doch hast”. Meine Rennerfahrungen beschränken sich auf Ultracycling-Events und Cyclocross-Rennen. In solchen Formaten habe ich kaum Erfahrungen und auch in Gruppen bin ich seit der Corona-Pandemie kaum gefahren. Kein Wunder, dass es da Defizite gibt. Gut lief es mit der Verpflegung. Ich habe kontinuierlich Kohlenhydrate zu mir genommen - mehr als je zuvor. Für das nächste Rennen nehme ich mir vor, das Fahren in der Gruppe zu üben, auch um die Wattwerte mit und ohne Windschatten besser einschätzen zu können.
Nur vier Sekunden lagen zwischen der erstplatzierten Giada Borghesi (04:28:36.3) und Geerike Schreurs (04:28:40.4). Wenig später kam die amtierende Gravel-Weltmeisterin Carolin Schiff (04:29:22.4) ins Ziel.
Bei den Männern erreichte Sebastian Schönberger als erster nach 04:00:23.3 das Ziel, danach kam Paul Voß (04:00:50.5), dicht gefolgt von Daan Soete (04:00:52.5).
Bei den Altersklassen konnten sich die ersten 25 % der Finisherinnen bzw. Finisher für die Gravel-WM qualifizieren, die am 5. und 6. Oktober in Halle-Leuven, Belgien ausgetragen wird.