Volta a MenorcaEntdecker-Rundfahrt als vielseitiges Insel-Highlight

Tim Farin

 · 06.12.2024

Die Volta a Menorca. Eine Radsport-Veranstaltung in Radsport-untypischem Gebiet
Foto: Volta Cicloturista Internacional a Menorca
Menorca gilt nicht gerade als typisches Radsportziel. Doch auf der Insel organisiert eine lebende Legende des spanischen Sports eine ungewöhnliche Veranstaltung. TOUR ist bei der 23. Volta a Menorca mitgefahren.

Man hatte den höchsten Punkt der Insel schon gestern ins Visier genommen, von allen Seiten umrundet. Beim Abendessen war er Gesprächsthema, Grund für übertriebene Kalorienzufuhr beim Sitznachbarn, und an diesem Sonntagmorgen nun, am 20. Oktober, geht es endlich hoch auf den Monte Toro. Mit einem Panoramablick über ganz Menorca, über Wälder, ummauerte grüne Felder, weiße Städtchen. Und bis zum Meer lässt sich Leid, gepaart mit Genuss durchleben. Für ein paar Minuten verwandelt sich eine entspannte Herbsttour in einen Wettkampf, den vor allem jede und jeder mit sich selbst austrägt. Zu steil ist die Straße, zumindest für durchschnittliche Radsportler, um hier locker zu machen oder gar in Duelle einzusteigen.

Gruppenfahrt: Im geschlossenen Verband rollt das Peloton über die einseitig gesperrten Hauptstraßen.Foto: Volta Cicloturista Internacional a MenorcaGruppenfahrt: Im geschlossenen Verband rollt das Peloton über die einseitig gesperrten Hauptstraßen.

Auf den letzten paar Hundert Metern scheint die Vormittagssonne auf den Asphalt, es schallen Anfeuerungsrufe auf die steile Rampe, kurz vor der Zeitnahme tummeln sich klatschende Mitfahrer, Fotografen und Angehörige, die alle Teilnehmer nach oben schreien. Venga, vamos, vamos! Ganz oben auf dem Parkplatz neben dem ehemaligen Franziskanerkloster stehen die, die es geschafft haben, trinken Cola und Wasser aus Plastikflaschen. Da lacht auch Dirk Swars, der vor ein paar Jahren schon mal mit dem Rad hier oben war. „So steil hatte ich das nicht in ­Erinnerung.“ Der 61-Jährige hat gerade die größte Schwierigkeit der internationalen Menorca-Radrundfahrt bestanden. Jetzt geht es nur noch zurück zur Familie und später an den Strand.

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Fast wäre die Rundfahrt Volta a Menorca ins Wasser gefallen

Zwei Tage vorher hätte man schon den Glauben an Sonne, Strand und Meer verlieren können. Auch der 73-jährige Arturo Sintes, gestandener Macher der internationalen Menoca-Rundfahrt, hatte für ein paar Augenblicke seine geduldige Zuversicht verloren. „Das war heute nichts, überhaupt nichts“, sagte er, nachdem er mit einem sehr reduzierten Tross komplett durchnässter Radler am Freitagnachmittag wieder die Plaza de la Constitución im Zentrum der Inselhauptstadt Mahón erreicht hatte.

Nass am Wasser: Dauerregen verwandelt den Prolog zur Festung La Mola in eine Wasserschlacht.Foto: Tim FarinNass am Wasser: Dauerregen verwandelt den Prolog zur Festung La Mola in eine Wasserschlacht.

Gerade als Sintes sich um Viertel vor vier in sein silbernes Auto mit dem Lautsprecher auf dem Dach gesetzt und den Prolog der 23. Rundfahrt über die kleine Insel eröffnet hatte, setzte Nieselregen ein und ging rasch in ergiebiges Gießen über. Es schüttete auf die tapferen Starter, die eigentlich ganz locker in die dreitägige Sonnen-Tour starten wollten. Ein Ausflug hinauf zur Festung Sa Mola vor der Hafeneinfahrt im Osten der Insel wurde so zum Charaktertest. Wenn man schonmal hier ist, dann fährt man auch alle drei Tage. Zurück im Ziel fand Sintes seine Fassung aber schnell wieder: „Morgen wird es etwas ganz anderes, das wirst du schon sehen.“

Herbst-Idylle: In der Tramuntana im Norden Menorcas schlängelt sich die schmale Straße durch grüne Hügel.Foto: Tim FarinHerbst-Idylle: In der Tramuntana im Norden Menorcas schlängelt sich die schmale Straße durch grüne Hügel.

Arturo Sintes ist der Mann, der diese Veranstaltung vor mittlerweile 23 Jahren ins Leben gerufen hat. Die „Volta Cicloturista Internacional a Menorca“ ist in der Rennradszene der Balearen-Inseln fest etabliert, sie ist zugleich ein Höhepunkt der Saison für Vereine, gerade von der benachbarten Insel Mallorca, und sie ist seit geraumer Zeit auch Anziehungspunkt für Radtouristen aus England, die sich über Herbstsonne freuen und vom Regen sicher nicht schocken lassen. Gleichzeitig ist das Event ein Geheimtipp. Aus Deutschland ist, ohne den Autor dieser Geschichte, nur ein Teilnehmer angereist, und auch er kam nur durch Zufall ins Feld. Vom Vermieter seiner Ferienwohnung, einem Radsport-Fan und Bekannten der Organisatoren, hatte der Ingenieur Dirk Swars von der Rundfahrt gehört. Also wagte er sich als Einzelstarter ins Peloton.

Dabei sein: Die Teilnehmer der Volta schreiben sich vor jeder Etappe in Startlisten in Mahóns Zentrum ein.Foto: Tim FarinDabei sein: Die Teilnehmer der Volta schreiben sich vor jeder Etappe in Startlisten in Mahóns Zentrum ein.

Zum 23. Mal organisierte Sintes, der bis 2015 neun Jahre lang dem balearischen Radsportverband vorstand und in Menorca einen Baubetrieb für Swimming-Pools führt, diese Runde. „Es ist eine familiäre Veranstaltung, bei der wir in der Gruppe fahren, aber auch einen Wettkampf einbauen“, erklärt Sintes das Konzept der Runde. Man entdeckt an drei Tagen die Vorzüge der kleinen Insel, lernt einen Großteil ihrer Rad-Attraktionen kennen und darf sich auch noch in einen ungefilterten Wettbewerb werfen: Sintes, der Rennradförderer, hat die beiden höchsten Anstiege Menorcas für den Wettstreit mit kombinierter Zeitnahme vorgesehen, beides Sackgassen mit Bergankunft. So gibt es bei der Menorca-­Rundfahrt zweierlei: eine Gruppenausfahrt mit vorgegebenem Tempo im geschlossenen Verband – und einen Kampf um Pokale, wobei es davon allerhand zu gewinnen gibt.

Große Bedeutung für die Insel

Es ist leicht zu deuten, dass die Menorca-Rundfahrt einen festen Platz im Leben der Insel hat. Die örtliche Tageszeitung berichtet ausgiebig, im Straßenverkehr nehmen Auto-, Bus- und Motorradfahrer die temporären Streckensperrungen mit Langmut und sogar Applaus zur Kenntnis, und in der Inselhauptstadt bekommt Sintes mit seinen Leuten die besten Plätze zugewiesen. Gleich vor dem Regierungssitz auf dem Kopfsteinpflaster der Altstadt starten und enden die Etappen, am Abend nach dem Prolog bekommt Sintes sogar den Ratssaal im Regierungsgebäude für die offizielle Eröffnung zur Verfügung gestellt. Dass er einen wichtigen Stellenwert in Spaniens traditionsreicher Sportkultur einnimmt, zeigt sich am Abend der Eröffnung. Ehrengast ist die mehrfache Mountainbike-Weltmeisterin Marga Fullana, auch der frühere Tour-de-France-Star Haimar Zubeldia ist fürs Wochen­ende aus dem Baskenland angereist.

Essen vom Sponsor: Menorca ist bekannt für seinen Käse, den es auch an den Verpflegungsstellen gibt.Foto: Tim FarinEssen vom Sponsor: Menorca ist bekannt für seinen Käse, den es auch an den Verpflegungsstellen gibt.

Sintes umgarnt die Stars. „Ich dachte, wir sind eingeladen, um hier Badehosen zu tragen“, scherzt Zubeldia, „aber Spaß beiseite: wir wollen mit euch zusammen diese Tage auf dem Rad genießen.“ Wer zur Rundfahrt nach Menorca kommt, wird schnell auf Promis treffen: Iban Mayo, Oscar Freire, Joseba Beloki, Samuel Sanchez, sie waren schon alle in den vergangenen paar Jahren bei Sintes zu Gast. Auch Miguel Indurain steht mit einer Flasche Bier am Buffet mit Käse und Gebäck, der gleichnamige Sohn des erfolgreichsten ­aller spanischen Radfahrer. „Wir kennen uns über den Radsport auf Mallorca“, erzählt der junge Indurain, inzwischen Mallorca-Gebietsleiter einer großen Radfirma, über die Verbindung zu den Organisatoren. Es gebe so etwas wie eine eingeschworene Radsport­familie in Spanien, das zeige sich auch hier. „Und die Teilnehmer kommen wirklich nah dran an die Stars“, sagt Indurain, der selbst nie Profi wurde.

Pittoresk: Der Tross fährt mitten durch Menorcas weiße Örtchen, hier das Dorf Es Migjorn Gran.Foto: Tim FarinPittoresk: Der Tross fährt mitten durch Menorcas weiße Örtchen, hier das Dorf Es Migjorn Gran.

Rauf auf den Sattel: Start der Volta a Menorca

Arturo Sintes sollte Recht behalten. Nach dem Dauerregen leuchtet die Insel am frühen Samstag in der Morgensonne, die Luft ist klar, die Temperatur noch recht kühl, aber sich rasch den 20 Grad nähernd. Die erste der beiden Etappen nach dem Prolog beginnt für alle mit dem Einschreiben. Es ist ein großes Hallo auf der Plaza, dann rollt das Peloton aus der verwinkelten Altstadt hinaus. Die etwa 320 Teilnehmer der Volta sind abgesichert von der vorausfahrenden Guardia Civil, von Motorrädern der Veranstalter und mit zwei Rettungswagen und einem Mechaniker-Fahrzeug, die das Feld hinten begleiten. Es ist ein reibungsloses Rollen über die fast leeren Straßen der Insel.

Steile Wertung: Die erste von zwei Bergwertungen bei der Rundfahrt verlang viel Kraft auf kurzer Strecke.Foto: Volta Cicloturista Internacional a MenorcaSteile Wertung: Die erste von zwei Bergwertungen bei der Rundfahrt verlang viel Kraft auf kurzer Strecke.

Über die Lautsprecher auf dem Dach des Führungsfahrzeugs lässt Sintes bei Ortsdurchfahrten Pop und Rock laufen, Passanten applaudieren, immer wieder macht er Ansagen: wann abends welcher Programmpunkt ansteht; wann die weiblichen Starter zum Foto zusammenkommen; wo man gleich eine Pause macht, um die Gruppe geschlossen über die Hauptstraße zu führen; wo auch mal ein bisschen mehr Tempo gemacht werden darf. Zwischendrin gibt es immer wieder wellige Passagen, auf denen die Fahrt vorne im Verband merklich an Geschwindigkeit zunimmt. Mit viel Schwung rollt man so durch eine Landschaft, die den allermeisten Rennradfahrern aus Europa als Neuent­deckung gelten muss. „Wir haben nicht so viele Straßen auf Menorca, aber dafür sind sie in sehr gutem Zustand und wir können fast jeden Tag gut Rennrad fahren“, sagt Victor Rodriguez, der Präsident des örtlichen Radsportvereins. Manche Stelle entlang der Route bringt Teilnehmer ins laute Schwärmen. Im Norden der Insel, nahe der Küste bei Fornells, windet sich die Route zwischen Hügeln. Die Gegend hat es Javier Maurolagoitia auch angetan, ebenso wie das Radfahren auf Menorca, auf das ihn wiederum Sintes brachte. Der 61-Jährige schwärmt von der Volta: „Bei uns im Baskenland ist es immer sehr kompetitiv, hier ist es entspannt, man trifft Leute“, sagt Maurolagoitia.

Überaus positive Resonanz der Teilnehmer

Überrascht zeigt sich nach der 100-Kilometer-Etappe am Samstag der Deutsche Michael Breunig, der seit 24 Jahren auf Ibiza lebt. Er ist erstmals auf Menorca. „Die Landschaft hat mich begeistert, die Anstiege sind nicht zu lang, das ist perfekt auch für Leute mit etwas mehr Gewicht“, sagt der 57-Jährige. Diese Rundfahrt ist vor allem beziehungsorientiert. In balearischen Akzenten, auf Spanisch und auch auf Englisch, plaudern die Menschen im Peloton, viele sind in Mannschaftsstärke mit ihren Klubs dabei. Aber auch Einzelstarter fühlen sich willkommen. „Es ist sehr freundlich, ich fühle mich sehr wohl“, sagt Dirk Swars aus dem Odenwald. Das Gesellige pflegen die Veranstalter auch abseits des Sattels, das ist Macher Sintes besonders wichtig.

"Es ist sehr freundlich, ich fühle mich wohl." - Dirk Swars, Teilnehmer aus DeutschlandFoto: Tim Farin"Es ist sehr freundlich, ich fühle mich wohl." - Dirk Swars, Teilnehmer aus Deutschland

„So etwas wie unsere Abschiedszeremonie hast du sicher noch nie gesehen“, hatte er bei der Begrüßung auf Menorca gesagt, „das ist keine Pasta-Party, das ist ein richtiges Essen.“ Tatsächlich kommen knapp anderthalb Stunden nach dem Ende der zweiten, 60 Kilometer langen Etappe die Teilnehmer in der Messehalle von Mahón zusammen, die meisten geduscht, manche noch im Trikot. Man sitzt an feierlich gedeckten Tischen, sehr aufmerksame Servicekräfte servieren gefüllte Aubergine, geschmortes Rind und ein Brot-Vanille-Dessert, dazu gibt es Wein. Währenddessen moderiert Arturo Sintes, den die spanische Journalistin Laura Meseguer von Eurosport als den „passioniertesten Menschen im spanischen Radsport“ bezeichnet.

Weiblicher Zuwachs: Anfangs hatten die Veranstalter kaum Frauen im Feld, 2024 waren es immerhin 57.Foto: Volta Cicloturista Internacional a MenorcaWeiblicher Zuwachs: Anfangs hatten die Veranstalter kaum Frauen im Feld, 2024 waren es immerhin 57.

Sintes hat ein privates Radsportmuseum gleich nebenan, es ist prallvoll mit Einzelstücken und Widmungen von großen Rennrad-Stars. Sintes bringt die Menschen aus dem Sport zusammen. Diese Rundfahrt sei so etwas wie sein Kind, sagt er, für ihn und seine Frau Lina Puig, die im Hintergrund herumwuselt, Papier verteilt, dem Team Anweisungen gibt. Es fließen reichlich Tränen auch bei den Zuschauern, als Arturo Sintes seine Ehefrau für ihren Einsatz um die Volta würdigt. Und auch dafür, dass sie im Januar schnell reagiert hatte, als bei ihm das Herz stehenblieb. Sintes konnte gerade noch gerettet werden, er wachte Tage später in Palma de Mallorca aus dem Koma auf. Deshalb, so sagt er, ist jeder Moment dieser 23. Volta für ihn ein Geschenk. Auch wenn es mal regnet.

"Wir hoffen, dass nächstes Jahr auch deutsche Radtouristen kommen." - Arturo Sintes, VeranstalterFoto: Tim Farin"Wir hoffen, dass nächstes Jahr auch deutsche Radtouristen kommen." - Arturo Sintes, Veranstalter

Hoffnung für nächstes Jahr auf Menorca

„Wir hoffen, dass nächstes Jahr auch deutsche Radtouristen kommen und das Besondere bei uns kennenlernen“, sagt Sintes. Oben auf dem Monte Toro spricht Urlauber und Zufallsstarter Dirk Swars über den Reiz dieser Insel. Im geschlossenen Verband lasse sie sich gut abfahren, und die Volta lässt sich auch mit einem Familienurlaub vereinbaren, Menorca biete überhaupt für eine Woche gemütlichen Radurlaubs gute Möglichkeiten. Für längere Zeit habe die Insel wiederum etwas zu wenig Straßenvielfalt. Der Bauingenieur hat Vergleichswerte, war früher Guide auf Mallorca. Er weiß auch, dass es schwierig ist, deutsche Radsportler zum Übersetzen von der einen auf die ­andere Insel zu bringen. Die große Nachbarin kann man von hier oben auf dem 357 Meter hohen Monte Toro sehen, die Anstiege der Tramuntana, die die Sportler in Schwärmen anlocken. Jeder kennt ihre Infrastruktur für Fahrradtouristen, das Rennen Mallorca 312 ist jedes Jahr binnen Stunden ausgebucht. All das fühlt sich hier oben weit weg an. Aber es fehlt nichts, als der Tross, angeleitet von Arturo Sintes und seinem Mikrofon, nach einer Verpflegungspause im Sonnenlicht wieder über Menorcas wellige Wege rollt.

Gestandene Profis MTB-Star Marga Fullana (rechts) und Straßenveteran Haimar ­Zubeldia sind Ehrengäste.Foto: Tim FarinGestandene Profis MTB-Star Marga Fullana (rechts) und Straßenveteran Haimar ­Zubeldia sind Ehrengäste.

Info und Wissenswertes: Volta Cicloturista Inter­nacional a Menorca

Die internationale Menorca-­Rundfahrt ist eine Gruppenausfahrt im Stile einer Etappen-RTF. Sie findet jedes Jahr Ende Oktober mit Start und Ziel in Mahón statt. Die Rundfahrt besteht aus einem Prolog und zwei Etappen. Auf den beiden Etappen gibt es jeweils eine Zeitnahme an ­einem Anstieg. Diese Zeiten werden kombiniert und darüber die Sieger ermittelt. Die Teilnahme kostete 2024 für Fahrer mit Lizenz 65 Euro, für Fahrer ohne Lizenz 75 Euro. https://www.menorcacicloturista.com/en/

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