SuperGiro DolomitiDer Monstertrip über den Monte Zoncolan

Andreas Kublik

 · 29.06.2023

Ein besonders gemeines Steilstück lockt ehrgeizige Radsportler
Foto: Christian Kaufmann
Ein besonders gemeines Steilstück lockte ehrgeizige Radsportler im Juni zum SuperGiro Dolomiti nach Lienz: Die Strecke führt über den Monte Zoncolan und macht die Veranstaltung in Osttirol zu einem der härtesten Radmarathons in Europa.

Der SuperGiro Dolomiti - Ein Monstertrip

Es gibt Menschen, die nehmen viel Mühsal in Kauf, um einmal das Fürchterliche mit eigenen Augen zu sehen. So reisen manche aus der ganzen Welt nach Schottland für die vage Chance, einen Blick auf das sagenumwobene Ungeheuer von Loch Ness zu werfen. Böse Zungen sagen, es gäbe diese Kreatur gar nicht, der ganze Trip sei vergeblich.

Aber vermutlich sind das Engländer, die ihren Nachbarn im Norden neiden, dass sie dort ein veritables Monster als Tourismuswerbung anführen können, sie selbst aber nur einen King, Buckingham Palace, Big Ben und die Tower Bridge haben. Einerlei. Die Erkenntnis: Das Schreckliche ist oft besonders attraktiv. Was den gewöhnlichen Sightseeing-Touristen in den Norden der Britischen Inseln lockt, reizt auch wagemutige Radsport-Touristen: die Aussicht, ein Monster zu Gesicht zu bekommen – und mehr noch, sich mit ihm zu messen.

Das Drautal bei Lienz liegt noch im Schatten, als es für die Teilnehmer um den späteren Sieger Patrick Hagenaars (mit Prothese) losgehtFoto: Christian KaufmannDas Drautal bei Lienz liegt noch im Schatten, als es für die Teilnehmer um den späteren Sieger Patrick Hagenaars (mit Prothese) losgeht

Dänische Gäste

So war es auch bei Lars-Ole Gerlach und seinen sechs Kumpels aus Dänemark. Die hatten sich an einem Donnerstag im vergangenen Juni in Kopenhagen in drei Autos gesetzt, um sich am folgenden Wochenende in einer Härteprüfung auf den Monte Zoncolan zu versuchen.

Jenen gefürchtet steilen Berg, den der italienische Radprofi Gilberto Simoni einst als „Monster“ titulierte – dabei fuhr er bei drei Starts zweimal als Schnellster hinauf. Auch an jenem Tag, dem die Hobby-Radsportler angeblich verdanken, dass es für sie nun einen besonders langen und harten Radmarathon gibt, bei dem auf halber Strecke der Zoncolan als durchaus schwer verdaulicher Hauptgang serviert wird.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Es war im Jahr 2007, als man den Start einer Etappe des Giro d’Italia ins österreichische Lienz holte. Nicht irgendeine, sondern den Tagesabschnitt, als die frisch asphaltierte, besonders steile West-Auffahrt auf den Monte Zoncolan Premiere bei der Italien-Rundfahrt feierte.

Radmarathon SuperGiro - Der Schrecken als Lockmittel

Aus der Faszination für das Furchteinflößende beim Giro ein dauerhaftes Geschäftsmodell zu machen, das schien für Franz Theurl, den Tourismuschef Osttirols, irgendwie logisch. Einmal ist keinmal – und so ergänzte Theurl die traditionsreiche Dolomitenradrundfahrt (siehe unten) um eine neue Härteprüfung. Regional hatte die Veranstaltung schon auf der klassischen Distanz um die Lienzer Dolomiten einen hohen Stellenwert. „Es ist die Weltmeisterschaft von Osttirol, alle haben das Messer zwischen den Zähnen“, betont Felix Gall.

Die Männer haben mir vor dem Start Horrorstorys erzählt. Den Zoncolan habe ich jetzt abgehakt. (Anna Kofler)

Der 25-jährige Osttiroler, direkt an der Strecke in Nußdorf-­Debant zu Hause, kennt seine Bestzeit aus Teenagertagen noch heute. Später wurde Gall Junioren-Weltmeister im Straßenrennen, inzwischen fährt er erfolgreich als Radprofi beim Team AG2R-La Mondiale – eine Karriere, gestartet bei der Dolomitenradrundfahrt. Um den Zoncolan macht der Profi im Training jedoch gerne einen großen Bogen.

Bis zu 22 Prozent Steigung

Was einst als „Weltmeisterschaft von Osttirol“ bei der Dolomitenradrundfahrt begann, lockt mittlerweile zunehmend Starter aus aller Herren Länder – auch dank der Anziehungskraft des Monsterbergs auf der neuen Langstrecke. Mit 11,9 Prozent im Durchschnitt geht es vom Örtchen Ovaro bergwärts bis auf den Gipfel des Zoncolan, die Spitzenwerte liegen bei 22 Prozent. „Es ist wie eine langsame Hinrichtung. Die leichtesten Abschnitte am Zoncolan sind härter als die schwierigsten bei der Tour de France“, sagte einst Simoni.

SuperGiro Dolomiti - Die einheimischen Zuschauer wissen genau, welche Leistung eine Kletterpartie per Rad auf ihren Hausberg bedeutetFoto: Christian KaufmannSuperGiro Dolomiti - Die einheimischen Zuschauer wissen genau, welche Leistung eine Kletterpartie per Rad auf ihren Hausberg bedeutet

Eine Warnung für jeden Hobby-Radsportler. Doch nicht alle wissen vor dem Start, was sie erwartet. „Die Männer haben mir Horrorgeschichten erzählt“, berichtete Anna Kofler von der Vorbereitung auf ihre SuperGiro-Pre­miere. Die Langstreckenspezialistin lässt sich überraschen. Der Mann mit der Startnummer 2334, der aus Klagenfurt zum SuperGiro gekommen ist, kennt sich hingegen aus: Während es am Plöckenpass vorbei an Soldatenfriedhöfen aus dem Ersten Weltkrieg geht, erzählt Hannes Thorbauer, er sei schon zweimal mit dem Rad auf den Zoncolan geklettert. Danach habe er sich eigentlich geschworen: „Nie wieder!“ Jetzt ist er doch am Start – trotz oder gerade wegen des Monte Zoncolan.

Eine Blaskapelle macht den Teilnehmern im Lesachtal BeineFoto: Christian KaufmannEine Blaskapelle macht den Teilnehmern im Lesachtal Beine

Noch einmal kurz Durchschnaufen.

Denn kaum läuft die rasende Abfahrt durch die malerischen Kehren des Plöckenpasses nach Italien aus, bäumt sich das Monster vor den Radsportlern auf. Auf den ersten Blick ein bezwingbarer grüner Kegel, keine schroffe, steile Felswand. Doch der Mensch hat den Berg so steil für Radsportler gemacht – man hat beim Straßenbau viel Asphalt gespart, indem man die Straße fast in einer Direttissima am Berg­rücken entlang Richtung Gipfel trassierte.

Es entstand eine unendlich scheinende Kletterpartie, in der die Kräfte wohl dosiert werden müssen. Verschnaufpausen gibt es nach dem Einstieg in Ovaro auf 525 Metern Höhe erst ganz oben, wenn der höchste Punkt auf 1730 Metern Höhe erreicht ist.

Die Strecke auf den Monte Zoncolan mag ein paar enge Kurven haben - die wenigen Kehren machen den Straßenverlauf aber nicht wirklich flacherFoto: Christian KaufmannDie Strecke auf den Monte Zoncolan mag ein paar enge Kurven haben - die wenigen Kehren machen den Straßenverlauf aber nicht wirklich flacher

SuperGiro Dolomiti - Keine Blöße!

Wehe dem, der dem Monster nicht mit dem nötigen Respekt, sondern mit Übermut und unangemessener Angriffslust begegnet – oder unpassender Übersetzung. Irgendwo in den steilsten Rampen fällt einer der Radmarathon-Teilnehmer einfach vom Rad – gefällt vom Monster. Aber er rappelt sich sofort auf und ruft „Alles okay“ in die Runde der leidenden Mitfahrer – so, als wolle er sich keine Blöße geben.

Ein paar Meter weiter zwingt die schier endlose Rampe einen anderen entkräftet vom Rad, der nun bergwärts schiebt – tatsächlich eignet sich die Anlage des Asphaltbandes eher für eine Bergwanderung (am besten mit Schuhen ohne Pedalplatten) als für eine Radtour mit dem Rennrad.

Die letzten Höhenmeter auf den Monte Zoncolan klettert man in engen Kehren - man hat das Schlimmste hinter sichFoto: Christian KaufmannDie letzten Höhenmeter auf den Monte Zoncolan klettert man in engen Kehren - man hat das Schlimmste hinter sich

In Sichtweite voraus schwoft eine Gruppe Rennradfahrer wie beim Synchronschwimmen bergwärts in feinem Rhythmus vom rechten Straßenrand nach links und wieder zurück – der eher angestrengte Hüftschwung dämpft die Steigungsprozente. Kaum ein Blick bleibt für die Schilder mit berühmten Kletterern des Radsports am Streckenrand.

Am Streckenrand der Bergstraße auf den Zoncolan stehen Schilder mit Bildern berühmter Profis wie Marco PantaniFoto: Christian KaufmannAm Streckenrand der Bergstraße auf den Zoncolan stehen Schilder mit Bildern berühmter Profis wie Marco Pantani

Während weiter hinten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen vom Monster einfach von ihren Rennrädern geschubst werden, ist einer längst über den Berg. Patrick Hagenaars hatte am Zoncolan weniger kräftig am Lenker gezogen, denn brutal hart in die Pedale getreten. Der 40-jährige Tiroler hat seit einem Unfall nur einen Arm, hilft sich mit einer Prothese und lässt während der Kletterpartie dennoch einen Konkurrenten nach dem anderen zurück, trotz einer Übersetzung von 39/28, die vielen anderen, die mit zwei Armen am Lenker ziehen können, den Meniskus aus den Kniegelenken pressen würde.

Ein Einarmiger ist am Schnellsten

Hagenaars hatte mit dem Berg und dem SuperGiro noch eine Rechnung offen. Vor Jahren war er in der letzten Abfahrt auf dem Weg zum Zoncolan über einen vor ihm Gestürzten und weiter einen Abhang hinabgeflogen. Er war schnell wieder auf der Straße und wieder im Rennsattel, aber die Hoffnung auf den Sieg war futsch. Hagenaars wurde dann im Ziel als „Mann des Tages“ ausgezeichnet – allenfalls ein Trostpreis.

Diesmal läuft alles nach Plan. Kurz nach der Fahrt über den Zoncolan lässt er die letzten Begleiter zurück, übersteht die äußerst rumplige Abfahrt über den maroden Asphalt des Plöckenpasses trotz Prothese und fährt mit rund zehn Minuten Vorsprung als Solo-Sieger ins Ziel auf dem Lienzer Stadtplatz.

Die Lienzer bekommen am großen Radsporttag in Osttirol den Blick auf erschöpfte Radfahrer vor der Haustüre geliefertFoto: Christian KaufmannDie Lienzer bekommen am großen Radsporttag in Osttirol den Blick auf erschöpfte Radfahrer vor der Haustüre geliefert

Vergleiche mit anderen Radmarathons sind schwierig – auch wenn sich der Ötztaler Radmarathon und der Supergiro bei Distanz und Höhenmetern durchaus nahe sind, mit leichten Vorteilen für die Ötztaler. „Die beiden lassen sich nicht wirklich vergleichen. Aber hier ist es fast zäher – weil es weniger Teilnehmer sind und man viel alleine fährt“, sagt der Sieger Hagenaars.

Späte Rache des Zoncolan

Andere zahlen noch Tribut – der Zoncolan rächt sich mitunter spät. Auf dem Rückweg kurbelt Andreas Strasser aus Eferding an vielen Mitradlern vorbei Richtung Scheitelpunkt des Plöckenpasses. Doch der Tritt wird zusehends schwerer. „Ich habe beim Giro gesehen, dass der Berg sehr, sehr steil ist“, erzählt er später. Aber der Oberösterreicher hat irgendwie nicht die richtigen Schlüsse gezogen. „Das war grenzgängig“, sagt Strasser über die gute Stunde in den Rampen des Zoncolan mit 39er-Kettenblatt und einem 28er-­Zahnkranz hinten als Kletterhilfe. „Ich mache das sicher noch mal, aber mit einer anderen Übersetzung“, resümiert er im Ziel.

SuperGiro Dolomiti - Die Verpflegungsstelle auf dem Plöckenpass ist Dreh- und Angelpunkt auf der LangstreckeFoto: Christian KaufmannSuperGiro Dolomiti - Die Verpflegungsstelle auf dem Plöckenpass ist Dreh- und Angelpunkt auf der Langstrecke

Die Kletterprüfung am Zoncolan ist nur ein kleiner Teil auf der Ultra-Distanz mit letztlich 212 Kilometern mit 4800 Höhenmetern – nach der Fahrt über den höchsten Punkt der Schleife durch Osttirol, Kärnten und das Friaul geht es über den Plöckenpass zurück nach Österreich, wo die nicht enden wollende Auffahrt auf den Kartitscher Sattel wartet – mit ewigem Auf und Ab und zweistelligen Rampen durch das eigentlich malerische Lesachtal, vorbei am Biathlonzentrum in Obertilliach.

Selbst die vermeintliche Schussfahrt vom letzten Berg ins Ziel nach Lienz wird für die vielen versprengten Teilnehmer noch eine Plackerei: Ein straffer Gegenwind bremst auf den letzten 30 Kilometern.

Guter Rat - Trainiert hart

Im Ziel sitzen viele mit bleichen Gesichtern und nacktem Oberkörper im Schatten der Markthäuser, andere fallen sich um den Hals, nachdem sie die letzten Kilometer gemeinsam gemeistert haben. Geschafft. Das Monster ist erledigt. Harte Arbeit am Sonntag. „Der Zoncolan ist abgehakt“, sagt Anna Kofler – und es klingt irgendwie, als fand die 25-jährige Steirerin die Horrorgeschichten der Männer ein bisschen übertrieben. Vielleicht will der Berg nur ernst genommen werden.

Die Gäste aus dem flachen Dänemark waren nicht nur von weither angereist, sie waren auch gut vorbereitet. „Trainiert hart!“, hatte Peter Clausen seinen Radsportfreunden nach einer Testfahrt auf den Zoncolan im Jahr zuvor geraten. Lars-Ole Gerlach hatte 33/36 montiert und war wohl auch dank kräfteschonender Untersetzung am Zoncolan der Beste der Skandinavier.

Die dänischen Teilnehmer um Lars-Ole Gerlach feiern ihren erfolgreichen Radmarathon-TagFoto: Christian KaufmannDie dänischen Teilnehmer um Lars-Ole Gerlach feiern ihren erfolgreichen Radmarathon-Tag

Und er konnte den Ritt genießen. „Ein fantastisches Rennen, wirklich sehr, sehr schön“, sagt er bei einem Bier während der Siegerehrung in der Dolomitenhalle. Die Ausblicke vom Zoncolan reichten bis zu den Dolomiten und in die weiten Ebenen des Friaul.

Gemeinsam feiern die tapferen Dänen ausgelassen, Allan Solok wurde Dritter seiner Altersklasse. Wenig später steigen sie in ihre Autos, es geht zurück in die Heimat. 16 Stunden, 1500 Kilometer Autofahrt. Solok hat es auch eilig. Am Montagmorgen, acht Uhr, hat er in seiner Firma in Kopenhagen ein ­Meeting. Es war halt doch nur eine Freizeitbeschäftigung, das Monster Zoncolan niederzuringen.

Monte Zoncolan

Höchstschwierigkeit beim SuperGiro Dolomiti

Der 1750 Meter hohe Berg im Friaul gewann schlagartig an Prominenz, als er im Jahr 2003 erstmals von den Streckenplanern des Giro d’Italia berücksichtigt wurde, zunächst mit der Ost-Auffahrt von Sutrio. Im Jahr 2007 feierte die neu asphaltierte West-Auffahrt aus dem Ort Ovaro Premiere: Auf 10,1 Kilometern Strecke geht es 1200 Höhenmeter bergauf – mit durchschnittlich 11,9 Prozent Steigung.



Das Maximum liegt bei 22 Prozent. Es ist die durchschnittlich steilste Auffahrt, die auch beim SuperGiro zu bezwingen ist. Es gibt zwei weitere Routen über Sutrio beziehungsweise Priola von der Ostseite des Berges, die im oberen Teil allerdings bis zu 27 Prozent steil werden. Alle Straßen führen zum höchsten Punkt auf 1730 Meter über NN.


Rundenvergleich - Dolomitenradrundfahrt und SuperGiro Dolomiti

Die traditionelle Dolomitenradrundfahrt gibt es als Radrennen seit 1951. Seit dem Jahr 1986 gilt sie als Breitensportveranstaltung, die auf der klassischen Strecke von Lienz über 112 Kilometer um die Lienzer Dolomiten zurück zum Start führt. Seit dem Jahr 2015 gibt es als zusätzliche Härteprüfung den SuperGiro Dolo­miti.

Termin war 2023 der 11. Juni. Wie im Vorjahr führte die 9. Auflage über Gailbergsattel und Plöckenpass zum Monte Zoncolan – auf dem Rückweg geht es nochmals über den Plöckenpass und dann über den Kartitscher Sattel zurück nach Lienz: Die TOUR-Messung beim Start im Jahr 2022 ergab für die Langstrecke 212 Kilometer Distanz mit rund 4800 Höhenmetern.

Die Startgebühren: ab 70 Euro für die klassische Strecke, ab 100 Euro für den SuperGiro. Nachmeldungen vor Ort sind möglich.

Infos im Internet: www.dolomitensport.at


Meistgelesen in der Rubrik Event