RidermanTOUR war beim dreitätigen Etappenrennen dabei

Tim Farin

 · 02.10.2023

Riderman: Eine Reportage über Ambitionen ganz vorne und ganz hinten im Feld
Foto: Manuel Buck/Veranstalter
Gesperrte Straßen, ambitionierte Teilnehmer und sportlich anspruchsvolle Strecken – das dreitägige Etappenrennen Riderman (22. bis 24. September) lockt jedes Jahr Hunderte Radsportbegeisterte nach Bad Dürrheim. Eine Reportage über Ambitionen ganz vorne und ganz hinten im Feld.

Riderman - ganz vorne und ganz hinten

Der Besenwagen rumpelt durch ein enges, sich windendes Tälchen. Die Straße ist steil, das Laub hängt dunkel über dem nassen Asphalt, der Dieselmotor jault auf, und Iris Bruns bricht langsam ihr Schweigen. Die Stimme der 44-Jährigen ist leise, sie sucht nach passenden Worten, bis sie ein paar Minuten später wieder fester klingt. „Ich habe noch nie in meinem Leben einen Wettkampf abgebrochen“, sagt die ehemalige Handballerin aus Hannover, die gemeinsam mit ihrem Freund Rennradfahren als Hobby betreibt. Aber jetzt sitzt sie enttäuscht hinten in der letzten Reihe des Transporters und sucht nach Haltung. Sie hat ein bisschen Zeit, denn Stefan, der Fahrer des Besen­wagens, hat an diesem Samstagnachmittag Ende September 2022 mehr zu tun, als den Teilnehmern recht wäre.

Der Besenwagen war am Samstag vollbesetztFoto: Manuel Buck/VeranstalterDer Besenwagen war am Samstag vollbesetzt

Der Neunsitzer mit Iris Bruns an Bord ist überfüllt, als er eine Stunde später in Bad Dürrheim einrollt, vor dem Zielstrich rechts abbiegt und neben der Verpflegung zum Stehen kommt. Auf dem Expo-Areal einer der renommiertesten Rad-Veranstaltungen in Deutschland ist kaum noch etwas los, das Wetter war mies. Nicht nur die schnellsten Teilnehmer der heutigen Königsetappe sind längst in ihren Zimmern, wo sie sich für den Schlusstag des dreitägigen Etappenrennens erholen.

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Kaffee trinken und lächeln!

Aber Iris und ihr Freund Ludger Gerres lächeln jetzt wieder, schlendern zu ihren Rädern, trinken noch einen Kaffee und sind ein bisschen unentschlossen, ob es das jetzt für sie gewesen ist mit dem Riderman. Fest steht: Die Gesamtwertung bei Deutschlands elitärstem Jedermann-Event im badisch-­schwäbischen Grenzgebiet mit vielen Schwarzwald-­Höhenmetern ist für sie kein Thema mehr. Das Pärchen geht als DNF – did not finish – in die Wertung ein.

Ludger Gerres und Iris Bruns lassen einen schwierigen Tag beim Kaffee Revue passierenFoto: Manuel Buck/VeranstalterLudger Gerres und Iris Bruns lassen einen schwierigen Tag beim Kaffee Revue passieren

Wenn man den Spaß sehr ernst nimmt, und das soll bei Rennradfahrern vorkommen, wird aus einem leicht angestaubten Kurort im Südwesten Deutschlands für drei Tage im Jahr eine Metropole der Selbstausbeutung, Performance und Qual. Am „Gästehaus Gisela“ machen sich freitagnachmittags Gäste aus Flandern auf der Rolle in der Garage für die erste Etappe warm, an „Astrid’s Haarwerkstatt Schnipp Schnapp“ und dem geschlossenen „Park Café Conditorei Röder“ vorbei drehen drahtige Männer und vereinzelt auch Frauen ihre Proberunden, es surren die Ketten, es klackern die Schaltungen, die Blicke signalisieren höchste Konzentration.

Das belgische Team Lionpack nutzt den Riderman zur Vor­bereitung auf ein heimisches RennenFoto: Manuel Buck/VeranstalterDas belgische Team Lionpack nutzt den Riderman zur Vor­bereitung auf ein heimisches Rennen

Der Riderman, organisiert von den Szene-Größen Kai und Rik Sauser, schmückt sich mit dem Slogan „Ride like a pro“ – und bietet nicht nur gesperrte Straßen, Rennverpflegung, ein illustres Feld und eine gut bestückte Expo, sondern den Reiz der Rundfahrt für Frau und Mann ohne Lizenz. Freitag, Samstag, Sonntag um die Wette fahren, das ist die Endstufe der Möglichkeiten für die Hobby-Athleten in Deutschland. Es ist wie eine Pro-Kur – man taucht ab, ein in das wohlige Gefühl, dass sich alles nur um Radsport dreht.

Riderman - Kräftemessen im Schwarzwald

Im Bad Dürrheimer Kurhaus klackern die Schuhe der Teilnehmer vor der Garderobe, wo es die Startunterlagen gibt, ein paar Meter weiter hat sich der Sanitätsdienst stationiert, dem beim Riderman Arbeit sicher ist – auch der Autor dieser Zeilen landet dort am Ende der Veranstaltung bei einer sehr freundlichen Mitarbeiterin. An diesem Ort wird schnell deutlich: Der Riderman ist gekonnte Routine. Seit 2000 organisieren die Sausers das Event. Damals gab es Rennen an zwei Tagen, Samstag Einzelzeitfahren, Sonntag Straßenrennen. „Wir mussten immer wieder ein bisschen nachjustieren“, sagt Kai Sauser.

Trotz des kühlen, nassen Wetters sammelten sich am Samstag HunderteFoto: Manuel Buck/VeranstalterTrotz des kühlen, nassen Wetters sammelten sich am Samstag Hunderte

Um ein Allein­stellungsmerkmal im damals neu boomenden Hobby-­Radsport zu finden, setzten die Brüder auf ein dreitägiges Kräftemessen mit Gesamtwertung auf land­schaftlich ansprechenden und sportlich sehr anspruchsvollen Routen im Schwarzwald. Ein großer Teil der Riderman-Teilnehmer fühle sich zum Wiederholen motiviert, sagt Sauser, 2022 hätte ein Mann aus Villingen-Schwenningen beinahe seine 22. Teilnahme wahrgenommen – er musste aber krankheitsbedingt passen. Schaut und hört man sich um vor dem Einzelzeitfahren am Freitag, dann sind viele Teilnehmer schon häufiger mitgefahren. Der Riderman ist eine Bank – bei recht günstiger Teilnahme, vor allem im Vergleich zu Events wie etwa der Haute Route.

Herausforderung Startrampe

Wer zum ersten Mal in Bad Dürrheim mitstreitet, muss sein Leben gleich für drei Tage dem Wettkampf-Zeitplan anpassen. Los geht es für die gut 500 Teilnehmer am Freitag­nachmittag in 15-Sekunden-Slots beim Einzelzeitfahren über 16 Kilometer. Das Starthäuschen steht unweit der Expo und des Kurhauses, von dort geht es relativ humorlos auf eine Landstraße mit knackigen Anstiegen und zurück nach Bad Dürrheim. Für jene, die sich eher im Rennpulk auskennen, bietet das eine Herausforderung – beginnend beim pünktlichen Check-in vor dem Start, beim Vertrauen in die Herren an der Rampe und beim Versuch, die eigene Leistung so zu dosieren, dass der zweite Tag nicht mit einem Problem beginnt.

Los geht’s am Freitag  mit einem Einzelzeit­fahren – für Neulinge eine HerausforderungFoto: Manuel Buck/VeranstalterLos geht’s am Freitag mit einem Einzelzeit­fahren – für Neulinge eine Herausforderung

Riderman - Pasta im Kurort

Die Sonne scheint auf die Fahrer, bei denen die Spreizung zwischen echten Zeitfahrspezialisten und ganz normalen Radsportlern enorm ist. Das Zeitfahren gewinnt Marcel Wyss, ein Ex-Profi und ehemaliger U23-Meister in dieser Disziplin aus der Schweiz. Bei den Männern landet Ludger Gerres an diesem Nachmittag auf Rang 451, seine Freundin Iris Bruns kommt als 33. von 34 Starterinnen an – mit 11:43 Minuten Rückstand auf die Siegerin der Etappe, Janine Meyer. Danach folgt die tägliche Siegerehrung. Bald darauf sind die wenigen italienischen Restaurants im Ort voll, Pasta ist im Kurort heiß begehrt an diesen Tagen – weit mehr als die deftigen Fleischspeisen im „Schwarzwälder Hof“ nur ein paar Gehminuten weiter.



Im „Gästehaus Gisela“ hallt es am Samstagmorgen aus dem Frühstücksraum im Souterrain, flämische Männer fachsimpeln bei Filterkaffee, Brötchen und Eiern, während ein Handybildschirm das Frauen-WM-Rennen in Australien zeigt. Am Tisch brüllen sie nicht, aber hier sitzt das Lion­pack aus Belgien, die Stimmung ist ausgelassen, Tom De Backer hat seine Jungs vom Riderman überzeugt. Der Schatzmeister des belgischen Granfondo-Teams war vor fünf Jahren schon einmal hier, sieben Männer sind nun gemeinsam angereist, allesamt waren sie beim Zeitfahren am Freitag schneller als der Interviewer.

So richtig zufrieden sind sie allerdings nicht, denn das Team ist beim Start zur schweren zweiten Etappe auf zu viele Startblöcke verteilt. Das begrenzt die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit. „Das ist schon etwas ganz Besonderes, wie man hier an mehreren Tagen richtig schwere Etappen fahren kann“, sagt De Backer. Sein Teamkollege Steve Danckers lacht, als er nach dem Druck gefragt wird. „Heute haben wir keinen, das ist nur Fun hier. In Belgien geht es am Montag um Punkte.“ Gleich am Tag nach der Rückkehr wird sich das Lionpack mit letztem Schliff vom Riderman in ein heimisches Rennen um Wertungspunkte begeben.

Riderman - Zweite Etappe, 120 Km, 2000 Hm

Am Frühstückstisch ist auch das Wetter Thema, denn aus einem spätsommerlichen Kurort ist über Nacht ein grau-nasser Klumpen von Kleinstadt geworden, an dessen Hängen die Regenwolken schon den Wald küssen. Es schüttet und es ist kalt. Man wird sich überwinden müssen, auch das gehört zum Etappenrennen, in der Nacht ist die Temperatur auf drei Grad gefallen, der Start ist angenehmerweise erst am Mittag – aber auch da ist es gerade mal gut zehn Grad kühl, ein bisschen windig und immer noch sehr nass. Das macht den Reiz aus, sagen sie im hinteren Startblock, aus dem auch der Autor auf die zweite Etappe starten wird. Der Plan für den heutigen Tag flößt Respekt ein, es geht über etwa 120 Kilometer mit bald 2000 Höhenmetern – und es wird auch ganz hinten vom Start weg ein enormes Tempo angeschlagen.

Riderman - Selbst die Abfahrten sind  anspruchsvoll auf den 120 Kilo­metern der 2. EtappeFoto: Manuel Buck/VeranstalterRiderman - Selbst die Abfahrten sind anspruchsvoll auf den 120 Kilo­metern der 2. Etappe

Ein harter Tag

Die Gegend ist topografisch anspruchsvoll, man muss in der Lage sein, viele steile Anstiege zu überstehen, bekommt aber auch auf den Abfahrten keine Auszeit. Ja, es ist der Kurort Bad Dürrheim, der vor gut zwei Jahrzehnten ein Radsport-Ereignis mit in Auftrag gegeben hat und bis heute hinter dem Riderman steht, aber mit Entspannen und Erholen hat das Spektakel nichts gemein.

Simon Geschke, Freund der Organisatoren, Local Hero aus Freiburg und im Sommer 2022 beinahe Sieger der Bergwertung der Tour de France, fährt am Samstag aus Spaß mit. Hinterher wird er sich überrascht zeigen: „Ich wollte eigentlich vorne mitfahren, um zu sehen, wie das Rennen ist – dann habe ich jemandem nach 40 Kilometern geholfen und versucht, wieder ranzufahren, aber da hatte ich keine Chance“, sagt Geschke, „das war ein harter Tag.“ Vorne setzt sich an diesem Tag der Schweizer Marcel Wyss durch, man hört es über den Funk im Besenwagen, hinten sitzt da schon Iris Bruns aus Hannover. „Es ist ja erst mein drittes Rennen“, sagt die Frau mit dem langen, blonden Zopf und der weißen Radbrille über der Stirn.

Überrascht vom hohen Niveau der Teilnehmer: Radprofi Simon Geschke fuhr die KönigsetappeFoto: Manuel Buck/VeranstalterÜberrascht vom hohen Niveau der Teilnehmer: Radprofi Simon Geschke fuhr die Königsetappe

Riderman - Eine Nummer zu groß?

Dass die schwierigste Etappe beim Riderman eine Nummer zu groß für sie werden könnte, hatte sie schon gemeinsam mit ihrem Freund überlegt, aber dann hat sie es eben doch versucht. Vom Besenwagen konnte man gut beobachten, wie Bruns und ihr Partner gemeinsam kämpften. An einem Steilstück mit etwa 20 Prozent Anstieg musste sie absteigen, danach beschloss sie auszusteigen. Es dauert dann ein bisschen, bis sie die Enttäuschung abschüttelt, bald aber öffnet sich die Bustür und vor ihr steht ihr Freund Ludger, der bergauf ebenfalls nicht mehr kann. Game over, aber die beiden geben sich einen Kuss. Sie überlegen, ob sie am dritten Tag vielleicht nochmal ins Rennen gehen. Das geht beim Riderman, auch wenn die Gesamtwertung dann passé ist.

Geschenkt wird einem nichts!

Bruns und Gerres werden allerdings am Sonntag, bei etwas freundlicherem Wetter, am Start nicht mehr gesichtet. Insgesamt steht bei 170 Teilnehmern DNS – did not start. Der Riderman fordert Tribut, aber die, die weitermachen, nehmen den Sonntag mit 1000 Hö­hen­metern auf 100 Kilometern eher locker. Geschenkt wird hier allerdings nichts, die Ernsthaftigkeit der Gesichter von Freitag hat sich eingebrannt, man spürt im Feld, dass ­viele mit sich kämpfen, es gibt eigenartige Manöver und dumme Stürze – auch den Autor erwischt es, als der Nebenmann wiederum seinem Vordermann ins Hinterrad rollt, bergauf, völlig ohne Anlass.

Am Sonntag geht es für die Spitze des Fahrerfeldes um wichtige Punkte im German Cycling CupFoto: Manuel Buck/VeranstalterAm Sonntag geht es für die Spitze des Fahrerfeldes um wichtige Punkte im German Cycling Cup

Für die Fahrer ganz vorne geht es wie gehabt um wichtige Wertungspunkte, wenngleich nach den beiden Siegen von Marcel Wyss kaum noch jemand an einen Wechsel im Klassement glaubt. Für die Jedermannszene ist dies ein relevanter Tag, denn Moritz Palm vom Team Strassacker und Juliane Matzke vom Team Deutsche Kinder­krebsstiftung sammeln die Punkte, die ihnen die Führung in der Gesamtwertung sichern. Für die anderen geht es ums Abrunden oder, wie bei Peter Jones aus Tübingen, um Wiedergutmachung. Er war am Vortag mit viel Pech beinahe aus dem Rennen geflogen, hatte sich dann aber, im Besenwagen schimpfend, das Hinterrad eines anderen Ausgeschiedenen geliehen, eine Aufholjagd begonnen und sich so ins Ziel gekämpft.

Riderman - Auch die Enttäuschung gehört dazu

Während Iris Bruns schon auf dem Heimweg nach Hannover ist, schreitet Maike Bullert noch hinauf zur Bühne. Die 29-Jährige wird gleich ein Bierfass in Empfang nehmen, noch wichtiger aber ist die sportliche Ehrung. Bullert hatte versucht, am harten zweiten Tag so gut wie möglich Energie für den Sonntag zu konservieren, da seien ihre Beine auch immer am besten. „Und ja, der Plan ist ganz gut aufgegangen“, freut sich Bullert, die auf der letzten Etappe in ihrer Altersklasse gewinnt.

Sie werde auf jeden Fall wieder mitfahren, sagt die Starterin aus dem benachbarten Villingen. Bullert denkt dabei nicht nur an die Jagd nach Ergebnissen, sondern auch an das Herzblut bei den Machern: „Was auch nicht zu kurz kommt, ist das Kollegiale, man trifft im Ziel immer wieder viele nette Leute aus dem Ausland und dem Inland.“

Riderman - Maike Bullert gewinnt bei der Schlussetappe in ihrer Altersklasse - und ein Bierfass dazuFoto: Manuel Buck/VeranstalterRiderman - Maike Bullert gewinnt bei der Schlussetappe in ihrer Altersklasse - und ein Bierfass dazu

Das gilt auch für den Besenwagen, wo sich nach einigen Minuten der Stille doch immer die Seelen öffnen. Es ist nicht gerade ein Traum für Hobby­athleten, in diesem Fahrzeug hinter dem Rennen herzutuckern. Doch gehört auch eine solche Enttäuschung zur Realität von Etappenrennen. Oder, wie es Jacek Kaleta sagt, der nach Kettenriss drei Stunden im Besen­wagen saß: „Ich dachte, ich muss Taxi fahren. Am Ende war es auch im Bus lustig, und morgen bin ich hoffentlich wieder dabei.“

Mehr zum Riderman

Der Riderman 2023 bietet drei Etappen vom 22. bis 24. September. Anmelden können sich Hobbyfahrer und -fahrerinnen aber auch Elite-Lizenzfahrer sowohl für alle drei Etappen (bis 17. September 235 Euro, Nachmeldung 250 Euro) sowie für das Einzelzeitfahren (60/70 Euro) und das Rennen am Sonntag (75/85 Euro). An den drei Tagen werden die Teilnehmer ca. 240 Kilometer und etwa 3200 Höhenmeter absolvieren, die Mindestgeschwindigkeiten der Etappen sind 23 km/h (Samstag) und 22 km/h (Sonntag).

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