Rallye Paris-Dakar

Unbekannt

 · 20.01.2010

Rallye Paris-Dakar
Paris-Dakar Die legendäre Motorsport-Wüstenrallye Paris-Dakar war Vorbild für „Paris-Dakar by Bike“. Das Original wurde zwar 2008 wegen Terrorgefahr abgesagt und 2009 nach Südamerika verlegt, 22 Rennrad-Abenteurern war das jedoch egal.

Die legendäre Motorsport-Wüstenrallye Paris-Dakar war Vorbild für ”Paris-Dakar by Bike”. Das Original wurde zwar 2008 wegen Terrorgefahr abgesagt und 2009 nach Südamerika verlegt, 22 Rennrad-Abenteurern war das jedoch egal. Sie starteten am 6. September 2009 in Paris, um in 70 Tagen 7.200 Kilometer zurückzulegen und durch sieben Länder ins westafrikanische Dakar zu kurbeln. TOUR hat die Gruppe neun Tage durch Marokko begleitet.

Zzziiip” – ein Reißverschluss wird geöffnet. “Zzziiip” – ein zweiter. Fünf Uhr morgens. Die ersten Radler schälen sich aus ihren Schlafsäcken. “Pffft ..., pffft” – im Nachbarzelt wird einer Isomatte die Luft aus den Zellen gepresst. Draußen trägt ein lauer Wind schon die ganze Nacht hindurch das Trommeln eines Hochzeitsfestes zum Campingplatz in Fès. Eine kräftige Männerstimme singt dazu. Minutenlang derselbe, gleichmäßige Rhythmus, bis er sich langsam steigert, Frauen einsetzen, mit der Zunge trillern, und alles jäh abbricht. Stirnlampen blinken in der Dunkelheit, ein Hahn kräht die Dämmerung herbei. Der dunkle Vorhang der Nacht hebt sich für die längste Etappe auf dem Weg von Paris nach Dakar: 179 Kilometer von Fès, der drittgrößten Stadt Marokkos, bis kurz vor Midelt, eine Kleinstadt im Mittleren Atlas.

Fünf Wochen zuvor waren 22 Radfahrer und sechs Begleiter in Paris gestartet. Da lag Dakar im Senegal noch unvorstellbar weit weg. Wie fühlen sich 7.200 Kilometer im Sattel an? Davon hatte jeder, der am Start stand, seine Vorstellung, aber keine Ahnung. Keiner rechnete mit einem solchen Hagelsturm, wie er in den Bergen von Andorra auf die Gruppe niederprasselte und manchen zwang, Skihandschuhe zu kaufen, um weiter fahren zu können. In Granada hätten die Radler eher Paddelboote gebraucht. Ende September überschüttete ein Tief die Stadt mit 150-mal mehr Wasser als üblich.

Meist schien der Gruppe jedoch die Sonne. Auch an diesem Morgen am Stadtrand von Fès bahnt sie sich ihren Weg durch die Nacht. Um 5.30 Uhr sitzen die Radler an Biertischen, schlürfen Tee oder Instantkaffee, bestreichen zimtbepuderte Brotfladen mit Marmelade oder Erdnussbutter. Noch eine Banane essen oder lieber ein Müsli anrühren? Die 29. Etappe wird lang und ist gespickt mit 2.230 Höhenmetern! “Heute werde ich nicht überleben”, unkt der Kanadier Alan Lunt, mit 73 Jahren Senior der Teilnehmer, schwingt sich aufs Rennrad und startet mit den ersten um 6.30 Uhr. Die Langsameren dürfen bis zu einer Stunde vorab starten, damit sie nicht zu lange nach den Etappengewinnern das Tagesziel erreichen. In Alans Gruppe sind Rennräder in der Minderzahl, viele fahren mit Trekkingrädern, ein Crossrad ist dabei und ein Reiserenner. In Alans Gruppe kratzt es niemanden, dass die Zeit der Teilnehmer gestoppt wird. Ihr Ziel: ankommen!

Die fünf, die in der Gesamtwertung führen, folgen eine Stunde später. Gemächlich. Die Kräfte werden in den Bergen gemessen – obwohl nach fünf Wochen die Rangliste schon in Stein gemeißelt scheint. Der Jüngste, der 25-jährige Eric Voutaz, hat in den Pyrenäen 52 Minuten auf seinen drei Jahre älteren Schweizer Landsmann David Imboden herausgefahren, mit Abständen von Stunden folgen der Belgier Dirk Franckx (47), John Faulkner (53) aus Neuseeland und der Finne Kari Oksman (47). “In der ersten Woche war das Tempo nicht so hoch”, erinnert sich David, “aber die zweite war der Wahnsinn! Ich dachte, das halten wir niemals zehn Wochen durch! In der dritten hat dann jeder wieder etwas Tempo rausgenommen.” Dirk Franckx: “Zu Beginn war ich der Stärkste, Eric musste sich noch einfahren. Jetzt ist er am Berg sogar schneller als David. Na ja, die beiden sind 20 Jahre jünger als ich. Sie werden immer stärker, ich schwächer.” Der hagere Postbote, ein Läufer, der erst seit einem Jahr mit dem Rennrad trainiert, zieht die Schultern hoch. Manchmal gelingt es ihm jedoch, sich bis ins Ziel wie eine Klette an die Jüngeren zu heften.

Eric, aus dem französischsprachigen Teil des Wallis, erklärt dann in gebrochenem Deutsch: “Keine Berge, macht kein Sinn für Attack heute.” Seinen Landsmann David, der im Wallis nur ein Tal weiter wohnt, kannte der junge Bankangestellte vor Paris-Dakar nicht. Organisator Wilbert Bonné hatte den beiden voneinander erzählt. “Dann haben wir uns im Februar getroffen und eine Skitour gemacht”, erzählt David. Jetzt sind sie ein Team, lassen sich Bärte wachsen und erreichen zusammen das Ziel. “Wer war heute Erster, du oder Eric?”, fragt einer. “Wir sind gemeinsam angekommen”, antwortet David. “Wir sind ein Paar.” Er stutzt, merkt, dass er “Team” hätte sagen sollen, und schiebt mit einem Grinsen nach: “Sagt’s bitte nicht meiner Freundin.”

Auf das tägliche Wie-lief’s?-Ritual folgen duschen, umziehen, Zelt aufbauen, Isomatte und Schlafsack rein, fertig. Tütensuppe steht bereit, Brot, Obst, Wasser, Kaffee und Tee. Manche schreiben Tagebuch, andere lesen oder sehen sich ihre Fotos an. Gegen halb sechs serviert Koch Ed Deelen aus Holland das Abendessen: Couscous mit Huhn, Obstsalat – je nachdem, was die Märkte bieten. Organisator Wilbert Bonné beginnt wie jeden Abend: “Hallo, Leute!” – “Hallo, Wil bert!”, antwortet die Gruppe. Wilbert fasst die vergangene Etappe zusammen, gibt Tipps zur folgenden. Nur der Abwasch wartet noch. Wer wann dran ist, steht auf einer Liste, die an einem umgebauten Feuerwehrwagen hängt. Zwei dieser Fahrzeuge begleiten die Radler und transportieren Ausrüstung, Trinkwasser und Verpflegung. “Das Schlimmste ist”, sagt Bob Tindle (64) und schmunzelt, “wenn du völlig fertig das Camp erreichst und realisierst, dass du heute Abwaschdienst hast.” Alan Lunt ist froh, heute kein Geschirrtuch in die Hand nehmen zu müssen. Der 73- Jährige aus der Nähe von Montreal war entkräftet nach der Hälfte der Etappe von Fès in den Besenwagen gestiegen. “Berge sind einfach nicht mein Ding. Ich hatte mir Paris-Dakar flacher vorgestellt”, erklärt der Rentner, der als junger Mann Radrennen fuhr. Ursprünglich wollte er bis Dakar fahren, beschließt aber nun, in Marrakesch auszusteigen. “Maure tanien ist mir zu gefährlich, es gab Entführungen. Meine Botschaft rät von Reisen dorthin ab und erklärt, dass sie Kanadiern dort nicht hilft. Das war meine letzte extreme Radtour”, sagt er resigniert.

Gefahren lauern auf der langen Reise aber eher dort, wo man sie nicht erwartet: in Form einer Kurve, die einen Teilnehmer in Spanien aus dem Rennen wirft; in Gestalt eines verrückten Marokkaners, der den Sanitäter Didier Fobé mit einem Messer angreift und so an der Hand verletzt, dass er nach Hause muss; oder in Person eines Auto fahrers in Marokko, der einen Radler auf freier Strecke übersieht und fast über den Haufen fährt.

“Warum tun wir uns das an: zehn Wochen Rad fahren, weg von zu Hause?”, fragt Erik Loy, ein Mittfünfziger aus Norwegen. “Wir haben keine Antwort. Außer, dass wir nicht nur zu Hause vor dem Fernseher sitzen wollen. Dazu muss man eine Entscheidung treffen. Unsere heißt Paris-Dakar. Die meisten sind zwischen 40 und 60 Jahre alt. Vielleicht wollen wir uns beweisen, dass noch etwas Kraft in uns steckt.” Radfahren als Kampf gegen Altern und Tod? “Da ist was dran, schließlich ist das, was wir hier machen, ganz schön eintönig: Im Dunkeln aufstehen, Kopf ausschalten, den ganzen Tag in die Pedale treten und todmüde um acht ins Zelt kriechen. Aber mit der Zeit verinnerlichst du diesen Rhythmus. Du brauchst ihn, um weiterzumachen!”, sagt Erik. “Ja, aber es fehlt Zeit, sich etwas anzusehen”, meint Edwin aus Holland. “Ich hab’ schon vergessen, was vergangene Woche war.” Die Schweizer scheint die Monotonie nichts zu stören. “Wir sehen auch beim Radfahren viel”, sagt David, “zudem gibt es Abschnitte ohne Zeitnahme und Ruhetage.” Der Software-Entwickler scheint glücklich mit dem Rennen, das er ein Mal im Leben machen wollte. Sein Chef hatte nichts dagegen, er durfte unbezahlten Urlaub nehmen.

Hannelore Grill musste niemanden um Urlaub bitten. Die 60-jährige Schwedin ist arbeitslos. 2002 hat sie die Patenschaft für ein kleines Mädchen im Senegal übernommen. Als ihr eine Freundin von Paris-Dakar erzählte, war die Mutter von vier Kindern, die seit zehn Jahren Rennrad fährt, Feuer und Flamme, ihr Patenkind mit dem Rad zu besuchen. “Viele Paten haben nie Kontakt zum Kind. Die Kinder wollen aber wissen, wer sie unterstützt”, erzählt Hannelore. “Ich habe immer Briefe geschrieben. Jetzt fahre ich hin. Damit will ich andere motivieren, eine Patenschaft zu übernehmen, oder, falls sie eine haben, das Kind auch mal zu besuchen.” Die kleine Schwedin ist ein Energiebündel: Als Test, um ihr erst im Frühjahr operiertes Knie an die Belastung zu gewöhnen, fuhr sie von Stockholm mit dem Rad zum Start nach Paris. Sie lacht gerne und laut: Nur einmal ist nicht viel von ihr zu hören – als eine starke Erkältung sie für einen Tag zwingt, die Etappe im Feuerwehrwagen mitzufahren. Am nächsten Morgen scheint sie wieder fit zu sein. “Hast du gut geschlafen, Eric?”, fragt sie. “In den Bergen guter Schlaf”, sagt Eric und nickt. Die Gruppe hatte das Lager auf 1.200 Meter Höhe aufgeschlagen, am Rand der Oase Skoura, direkt vor der Kulisse des Hohen Atlas. Die Zelte stehen auf dem flachen Dach einer Kasbah, einer aus Lehm gebauten Burg der Berber. Nachts hatten unzählige Sterne klar aus einem schwarzen Himmel gefunkelt.

Heute wartet der letzte Anstieg in den Hohen Atlas, bevor es hinab geht nach Marrakesch. Die Renn-Gruppe geht die 60 Kilometer bis zum Fuß der Berge zügig an. Alle wechseln sich in der Führung ab, die früher Gestarteten sind schnell überholt. Nomaden, die Kamele und Schafe hüten, beäugen die Radler. An der Verpflegungsstelle, wo einer der Feuerwehrwagen wartet, stoppt Eric nicht. David füllt eilig die Flaschen, steckt sich hektisch eine Banane in die Tasche und kämpft sich wieder heran. Die im Klassement Nächstplatzierten, Dirk und Kari, lassen die Schweizer hinauf zum 2.260 Meter hohen Tizi-n-Tchika-Pass ziehen. Kurz vor dem Ziel unter der Passhöhe schließen sie zu John auf, der seit einigen Tagen alleine fährt und schon eine Stunde früher gestartet war. Der 53-jährige Neuseeländer, Sieger 2007, ist sauer auf den Veranstalter und will in Marrakesch aussteigen. “Ich habe Paris-Dakar mit einem Trainer geplant”, erklärt er. “Die Wochen in Europa sollten noch Training für mich sein, damit ich auf den schweren Etappen in Marokkos Bergen in Bestform bin. Aber in den ersten Wochen hat Rob (Organisator Rob van der Geest fuhr oft mit dem Rennrad mit, Anm. d. Red.) geholfen, das Rennen schnell zu machen. Das half der Spitzengruppe. Zudem kennt er den Weg und verliert keine Zeit mit der Orientierung.”

In Marrakesch ist Ruhetag. Ausschlafen, Stadt besichtigen, im Basar um Mitbringsel feilschen. Einige haben Laptops dabei, schreiben E-Mails, laden Fotos auf den Rechner. Andere telefonieren nach Hause. Davids Freundin kommt zu Besuch, sie ziehen für zwei Nächte ins Hotel. Und deine Freundin, Eric? “Meine Freundin: Vélo!”, sagt Eric und lacht. In aller Frühe kommt David zurück zum Camp. Es ist dunkel, fünf Uhr. “Zzziiip” – ein Reißverschluss wird geöffnet. “Zzziiip” – ein zweiter. Radler schälen sich aus Schlafsäcken. “Pffft ..., pffft” – einer Isomatte wird die Luft aus den Zellen gepresst. Noch vier Wochen bis Dakar. Die Wüste wartet.

Epilog: Alle im Rennen verbliebenen Radler erreichten Dakar, das Klassement blieb unverändert: Eric Voutaz gewann in 235:42 Stunden; 52 Minuten mehr benötigte David Imboden. Mit zwölf Stunden Rückstand wurde Dirk Franckx Dritter. Hannelore Grill konnte ihr senegalesisches Patenkind, die 13-jährige Fatou, besuchen.

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  Im Windschatten eines Lkw lassen sich die beiden führenden Schweizer in die Ziz-Schlucht saugen.
Im Windschatten eines Lkw lassen sich die beiden führenden Schweizer in die Ziz-Schlucht saugen.
  Am nächsten Tag führt David Imboden, Zweiter in der Gesamtwertung, das Spitzenquartett in den ersten Anstieg (links), ihm folgen Dirk Franckx und der künftige Gesamtsieger Eric Voutaz.
Am nächsten Tag führt David Imboden, Zweiter in der Gesamtwertung, das Spitzenquartett in den ersten Anstieg (links), ihm folgen Dirk Franckx und der künftige Gesamtsieger Eric Voutaz.
  Bunte Abwechslung an Ruhetagen: Zeit, die Altstädte und Märkte von Fès und Marrakesch zu besuchen.
Bunte Abwechslung an Ruhetagen: Zeit, die Altstädte und Märkte von Fès und Marrakesch zu besuchen.
  Hannelore Grill, schon in Stockholm gestartet, ist auf dem Weg zu ihrem Patenkind im Senegal.
Hannelore Grill, schon in Stockholm gestartet, ist auf dem Weg zu ihrem Patenkind im Senegal.
  Auftauchen: Die ersten Dromedare auf der Reise! Am trockenen Südrand des Atlasgebirges ist die Sahara nicht mehr weit.
Auftauchen: Die ersten Dromedare auf der Reise! Am trockenen Südrand des Atlasgebirges ist die Sahara nicht mehr weit.
  Eintauchen: in die orientalische Altstadt von Fés, sie steht seit 1981 als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO.
Eintauchen: in die orientalische Altstadt von Fés, sie steht seit 1981 als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO.
  Abtauchen: in die schattige Kühle einer Kasbah in der Oase Skoura, einer aus Lehm gebauten Burg, die früher den Berberstämmen als Residenz diente.
Abtauchen: in die schattige Kühle einer Kasbah in der Oase Skoura, einer aus Lehm gebauten Burg, die früher den Berberstämmen als Residenz diente.
  Küchendienst: Jeden Abend müssen zwei andere bei Lampenschein zum Abwasch ran.
Küchendienst: Jeden Abend müssen zwei andere bei Lampenschein zum Abwasch ran.
  Keine zufällige Begegnung: Die Berber warten vor der Oase Tinerhir auf Bustouristen. Radler mit Helm wie Dirk Franckx finden sie lustig.
Keine zufällige Begegnung: Die Berber warten vor der Oase Tinerhir auf Bustouristen. Radler mit Helm wie Dirk Franckx finden sie lustig.
  Schöne Ausnahme: Zweimal wurde das Lehmdach einer Berberburg zum Zeltlager für die Radler
Schöne Ausnahme: Zweimal wurde das Lehmdach einer Berberburg zum Zeltlager für die Radler
  Fast die gesamten 7.200 Kilometer führen über asphaltierte Straßen. In 59 Etappen mit bis zu 180 Kilometern (meist 100 bis 150 km) und bis zu 2.500 Höhenmetern geht es durch Frankreich, Andorra, Spanien, Marokko, Westsahara, Mauretanien in den Senegal.
Fast die gesamten 7.200 Kilometer führen über asphaltierte Straßen. In 59 Etappen mit bis zu 180 Kilometern (meist 100 bis 150 km) und bis zu 2.500 Höhenmetern geht es durch Frankreich, Andorra, Spanien, Marokko, Westsahara, Mauretanien in den Senegal.

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