Der US-Amerikaner Nick DeHaan wurde vom Audax Club Parisien mit einer Zeit von 41 Stunden 48 Minuten und 18 Sekunden als Schnellster erfasst. Er absolvierte die Strecke mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 29,1 km/h obwohl er den kompletten Rückweg ab Brest alleine fuhr. Rund eine Stunde nach ihm kamen zeitgleich der slowenische Ultracyclist Marko Baloh und der österreichische RAAM-Sieger Severin Zotter ins Ziel.
Unglaubliche Leistungen, die höchsten Respekt einbringen. Was diese drei Radsportler über so eine lange Distanz geleistet haben ist absolute Höchstleistung. Von GCN über die französische Lokalpresse wurde von einem neuen Streckenrekord berichtet. Auch Nick DeHaan selbst freute sich auf Strava über seinen Rekord. Beim Race Across America, dem Race Across Austria oder anderen Langdistanzterminen gäbe es keine weiteren Diskussionen - aber das sind Ultracycling-Rennen. Paris-Brest-Paris hingegen ist ein Brevet. Wenn man die Regeln des Audax Club Parisien anschaut, waren alle drei zu schnell im Ziel. Bei Brevets gibt es nicht nur eine Maximalzeit, sondern auch eine Mindestzeit. Diese ist in den 19 Brevet-Regeln festgelegt und gilt weltweit für alle Termine der Brevets Randonneurs Mondiaux. Je nach Distanz gibt es vorgegebene Zeit für die Öffnung und der Schließung der Checkpoints:
Öffnung Kontrollstellen: 34 km / h (km 1 bis 200); 32 km / h (km 201 bis 400); 30 km / h (km 401 bis 600); 28 km/h (km 601 bis 1000)
Schließung Kontrollstellen: 1 Stunde + 20 km / h (km 1 bis 60); 15 km / h (km 61 bis 600); 11,428 km / h (km 601 bis 1000).
Die Vorgaben ermöglichen dem Veranstalter die Öffnungszeit der Checkpoints zu beschränken. In der Brevet-Tradition geht es außerdem nicht um ein Radrennen, sondern um eine individuelle Herausforderung. Während der aktuellen “Rekordfahrt” fürchtete Nick De Haan bereits, dass die Checkpoints noch nicht geöffnet sind, weil er so schnell war. Er ließ deshalb über ein Begleitmotorrad nachfragen, ob die Stellen schon bereit sind und bekam Grünes Licht.
Bei Paris-Brest-Paris liegt die Mindestzeit bei 43 Stunden und 32 Minuten. In den Regeln von PBP ist diese Zeit auch aufgeführt. Berechnungsgrundlage ist ein Schnitt von höchstens 28 km/h, weil das Brevet über 1000 Kilometer führt. Im Ziel lagen daher alle drei Schnellsten unter der vorgeschriebenen Mindestzeit. Das fiel zunächst auch niemandem auf: DeHaan wurde von einem Auto des Veranstalters ins Ziel begleitet. Dort erhielt er den letzten Stempel in sein Brevet-Heft und die PBP-Medaille. Von der französischen Lokalzeitung bis zu internationalen Radsportmedien wurde sein “Sieg in Rekordzeit” gemeldet. Erst Tage danach wurde in ersten Kommentaren angemerkt, was in den Regeln steht.
Wir haben bei Luc Coppin, Präsident des Audax Club Parisien, nachgefragt:
TOUR: Die offiziellen Regeln sprechen von einer Mindestzeit von 43:32 Stunden. Der schnellste Teilnehmer, Nick DeHaan, kam nach 41:46 Stunden an - wird sein PBP dann nicht akzeptiert werden?
Coppin: Er hat seine Fahrt Paris-Brest-Paris in weniger als 80 Stunden geschafft - die Maximalzeit hat er eingehalten. Gemäß Artikel 15 der Wettkampfordnung wird jedoch keine Zeit unter 43 Stunden und 32 Minuten anerkannt. Er sollte also mit einer offiziellen Zeit von 43 Stunden und 32 Minuten zugelassen werden. Sein Rekord wird daher nicht in unseren Archiven erscheinen.
TOUR: Glauben Sie, dass diese Regeln noch wichtig sind, oder dachten Sie daran, sie zu ändern?
Coppin: Der Audax Club Parisien ist ein Radsportverein, der der Fédération de Cyclotourisme angehört. Wir müssen uns an die von unserem Verband aufgestellten Regeln halten. Da es sich bei unseren Aktivitäten nicht um Radrennen handelt, gibt es derzeit keinen Grund, diese zu ändern.
TOUR: Auf Facebook haben Sie eine Liste der Schnellsten veröffentlicht - daraufhin haben Teilnehmer gefordert, die “Einzelwertungen” zu entfernen. Was ist Ihre Antwort?
Coppin: Wenn ich mich nicht irre, ist die in den sozialen Netzwerken veröffentlichte Rangliste nicht unser Werk: Wir prüfen noch immer Ergebnisse, die einer Klärung bedürfen. Die offiziellen Ergebnisse, die von unserem Verband bekannt gegeben werden, werden in alphabetischer Reihenfolge angegeben: Wir erstellen keine Rangliste nach der Reihenfolge der Ankunft.
TOUR: Wird Paris-Brest-Paris 2027 wieder in Rambouillet stattfinden? Haben Sie schon über die Änderungen diskutiert?
Coppin: Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch zu früh, um Ihnen mitzuteilen, wie der Audax Club Parisien die nächste Ausgabe organisieren möchte. Der nächste Termin für die Diskussion von Paris-Brest-Paris Randonneur 2027 ist am 10. Februar 2024. Dann sehen wir weiter.
Präsident Coppin hat sich nicht eindeutig festgelegt, wie mit der zu schnellen Zeit umgegangen wird. Er kann sich vorstellen, dass die Fahrt mit der Mindestzeit registriert wird. Jean-Gualbert Faburel ist beim Audax Club Parisien für die Homologation der Brevets verantwortlich. Auch er wollte sich noch nicht endgültig äußern, sondern verwies auf einen Prüfungsprozess, der erst gegen Jahresende abgeschlossen sei: “Ob er eine Homologation (Anm. d. Red.: Offizielle Anerkennung) für seine Fahrt bekommt, können wir derzeit nicht sagen. Die Prüfung läuft noch”.
Die ”Rekordfahrt” zeigt: neue Höchstleistungen zwingen die Brevet-Szene zu einer Debatte über traditionelle Werte und Regeln. Sollte sich die Szene anpassen an die Realität der schnelleren Hobbyradsportler oder ihren Charakter verteidigen? Dabei geht es nicht um theoretische Diskussionen, sondern ganz praktische Folgen: ohne Begleitauto wäre diese Zeit vermutlich nicht möglich gewesen. Ein Wandel zum Ultracycling-Rennen könnte also auch die Zahl der Begleitautos und Betreuer erhöhen.
Rund 4800 Teilnehmer haben es bei der 20. Austragung von Paris-Brest-Paris innerhalb des Zeitlimits ins Ziel geschafft. Der Prozess der Überprüfung läuft noch . die offizielle Zahl wird erst bekannt gegeben. Am Start standen 6490 Randonneure aus 71 Nationen – rund fünf Prozent der gemeldeten traten nicht an. Niedriger als zuvor war mit 6,1 Prozent der Frauenanteil.
Korrekt müsste das Brevet aufgrund des Startorts Rambouillet-Brest-Rambouillet heißen. Die Gemeinde vor den Toren der französischen Landeshauptstadt hat sich als Basis des traditionsreichen Brevets etabliert. In diesem Jahr mussten 1219 Kilometer innerhalb von 90 Stunden bewältigt werden.
Rückblick: Paris-Brest-Paris 2011