Sandra Schuberth
· 16.08.2022
Der österreichische Ultradistanzradfahrer Christoph Strasser hat 2022 erstmals ein Rennen ohne Support bestritten: Das Transcontinental Race (TCR). TOUR hat nach seinem Sieg mit ihm gesprochen unter anderem über die Unterschiede zwischen Ultracycling-Rennen mit und ohne Unterstützung, über Schwierigkeiten und über Ausrüstung.
Christoph Strasser, Extremsportler aus Österreich, ist bekannt durch seine siegreiche Teilnahme an Ultradistanzradrennen wie dem Race Around Austria und dem Race Across America (RAAM). Im Sommer 2022 wagte er sich an das Transcontinental Race, ein Rennen, bei dem Unterstützung unzulässig ist. Strasser ordnet dem Transcontinental Race in der Unsupported-Szene den gleichen Stellenwert zu wie dem RAAM im Bereich der Ultracycling-Rennen mit Support.
Das Transcontinental Race, kurz TCR, ist ein Ultradistanzradrennen ohne Support quer durch Europa. Die Teilnehmenden müssen dabei von Gerardsbergen in Belgien bis nach Burgas in Bulgarien - oder im nächsten Jahr andersherum - radeln. Auf der Route vorgegeben sind lediglich einige Checkpoints, an denen es jeweils einen Stempel gibt, und festgelegte Parcours, die von allen absolviert werden müssen. Alles dazwischen ist den Teilnehmenden selbst überlassen. Die Routenplanung liegt also in deren eigener Hand.
Während des gesamten Rennverlaufs sind die Teilnehmenden auf sich allein gestellt - wer im Zweierteam startet, kann sich gegenseitig helfen. Unterstützung an der Strecke oder von außen ist nicht gestattet. Hotels dürfen nicht vorgebucht werden, und auch nicht von befreundeten Menschen oder Familienmitgliedern während des Rennens. Um Essen, Trinken, Schlafplätze und Fahrradreparatur müssen sich alle selbst kümmern. Natürlich dürfen Radläden, Restaurants, Hotels und Einkaufsmöglichkeiten genutzt werden - eine Übernachtung bei Freunden, die an der Strecke wohnen, ist jedoch nicht gestattet.
Strasser: Ich habe das Transcontinental Race schon viele Jahre mit Spannung verfolgt. Da einmal selbst mitzufahren, wäre schon mal geil, dachte ich mir. Dieses Jahr gab es zwei Gründe, mitzufahren.
Unsupported erschien mir also die sicherere Option zu sein. Und weil ich es schon immer mal probieren wollte, dachte ich: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Genau solche Bedenken hatte ich durchaus. Vielleicht wollen die Veranstalter keinen professionellen Radsportler als Teilnehmer. Deshalb habe ich den zwei großen Events durch Europa, dem Northcape4000 (Anmerkung der Redaktion: von Rovereto, Italien, zum Nordkap) und dem Transcontinental Race je eine E-Mail geschrieben und nach ihrer Meinung gefragt und ob ich teilnehmen darf. Vom Ersteren kam zurück, melde dich an, wenn du willst. Die Rückmeldung vom TCR empfand ich als einladender: Sie fänden es super und würden sich freuen. Angemeldet habe ich mich für beide, falls eines nicht stattfinden kann. Ich habe auch ganz normal die Meldegebühren gezahlt.
Von Beginn an hat das Transcontinental Race einen größeren Reiz auf mich ausgeübt. Das TCR ist als Rennen deklariert, das Northcape4000 eher als Abenteuer. Und als klar war, dass Leute wie Ulrich Bartholmoes und Adam Bialek beim TCR starten würden, wusste ich, da muss ich dabei sein. Das wird spannend!
Allerdings hatte ich auch Bedenken wegen der Straßen und des Verkehrs in Osteuropa und wegen der Nähe zur Ukraine. Letztendlich ist Österreich aber genauso nah an der Ukraine gelegen. So bitter die Situation dort ist, man merkt es in den nahegelegenen Staaten nicht unbedingt.
Am Ende bin ich froh, das TCR gefahren zu sein und nicht das Northcape4000. Das Transcontinental Race war unter anderem auch dadurch, dass es ein so prestige-trächtiges Rennen ist, von Anfang an mein Favorit.
Ich hatte großen Respekt vor dem Verkehr und insbesondere LKW. Mein größtes Ziel war es, gesund wieder heim zu kommen. Das hatte auf jeden Fall Priorität für mich.
Da gibt es zwei Punkte zu nennen: Routenplanung und Bike-Set-up.
Wegen der Planung der Route habe ich lange zwischen dem Northcape4000 und dem Transcontinental Race hin und her überlegt. Denn bei Ersterem gibt es eine vorgeschriebene Route, beim TCR muss man selber planen. Ich habe wochenlang an meiner Route gefeilt. Und ich glaube, dass ich bei der Routenplanung die größten Fehler gemacht habe. Oder anders: Ich kann da noch sehr viel lernen. Eigentlich habe ich viele Straßen doppelt und dreifach geprüft: mit Strava Heatmap, Komoot und Google Streetview. Dennoch habe ich oft ganz schlechte Straßen erwischt. Außerdem habe ich festgestellt, dass ich öfter komplett falsch gefahren bin, also nicht auf meiner geplanten Route. Einem guten Unsupported-Fahrer würde das wohl nicht passieren.
Zum Thema Ausrüstung: Ich hatte eigentlich gar keinen Plan. Also habe ich Podcasts gehört, Berichte und Bücher gelesen. Ich konnte dabei sehr viel von anderen lernen, die über ihr Set-up berichten.
Lange habe ich hin und her überlegt, wie ich die Problematik mit den elektronischen Geräten löse - mit Nabendynamo oder Powerbanks. Und dann gibt es wieder unzählige Optionen, um über den Dynamo Navi und Handys laden zu können. Schließlich habe ich mich für eine Option entschieden, dann war das Teil nicht lieferbar, also musste ich umplanen. Für den Dynamo brauchte ich wegen der Speichenanzahl auch ein neues Laufrad. Zwei Wochen vor dem Rennen stand das Elektronik-Set-up. Durch eine falsche Verkabelung ging mir das Licht kaputt. Die neue Frontleuchte habe ich eine Woche vor dem Rennen installiert.
Bei meinen bisherigen Rennen mit Team-Support hatte ich praktisch unbegrenzt Platz und konnte auch 50 Ersatzschläuche dabei haben. Das ist bei einem Rennen ohne Unterstützung anders. Da musste ich überlegen, auf welche Worst-Case-Szenarien ich vorbereitet sein will.
Zu entscheiden, wie viele Taschen ich mitnehme, welche Kleidung ich brauche und was ich sonst noch einpacke, fiel mir leicht.
Definitiv. Mit Unterstützung ist es für mich körperlich und mental wesentlich härter, weil man sich mehr verausgabt. Mir war klar, so wie sonst geht es nicht. Mit nur 40 Minuten Schlaf sind die Symptome des Schlafentzugs wie Halluzinationen zu groß. Man ist dann einfach nicht mehr fähig, Entscheidungen zu treffen. Aber man muss beim TCR viel klarer bleiben im Kopf als beim RAAM - da brauchst du nichts denken, sollst auch nichts denken. Ich habe versucht, immer drei Stunden zu schlafen, da ist der Schlafentzug deutlich geringer. Dennoch musste ich zwischen vier und sieben Uhr morgens immer wieder mit Sekundenschlaf kämpfen. Mal half mir ein kurzer Powernap in der Früh, mal habe ich Sprachnachrichten aufgenommen. Es fehlten Leute zum Kommunizieren, um mich wachzuhalten.
Unsupported ist so kompliziert! Ich wollte oft einfach nur Radfahren. aber man muss anhalten und einkaufen, man muss anhalten, um die Route zu checken, man muss etwas am Rad checken oder irgendwas buchen.
Mein Training war komplett gleich.
Eigentlich wollte ich mal probieren, draußen zu schlafen, hab ich aber nicht. Ich habe mal eine Trainingsfahrt, eine Nachtfahrt, gemacht. Eigentlich wollte ich mich da mal irgendwo zum Schlafen hinlegen. Ich konnte dann aber auch fünf Uhr morgens zu Hause sein und dort schlafen. Dann wollte ich im Garten draußen schlafen, aber da das eh ganz anders ist als unterwegs, habe ich auch das sein lassen. Das letzte Mal in einem Schlafsack geschlafen habe ich vor etwa zehn Jahren.
Weitere Vorbereitungen waren:
Zum Schlafen hatte ich einen Schlafsack und einen Biwaksack dabei. Keine Matte, da geht insbesondere für Aus- und Einpacken so viel Zeit drauf. Und so viel komfortabler ist es dann auch nicht. Aber es war schon ungemütlich auf Beton- oder Fliesenboden. Ich habe oft die Winterjacke als Unterlage genutzt oder auch Beinlinge, sofern ich sie nicht angehabt habe. Den Biwaksack habe ich nicht verwendet.
Viele haben zwei Navigationsgeräte dabei. Ich habe mich dafür entschieden, zwei Handys mitzunehmen, falls ich eins verliere. Das Handy war sozusagen meine Lebensversicherung. Mit dem Navi kann ich navigieren, das geht mit dem Handy auch, aber damit geht noch viel mehr: Zimmer buchen, Öffnungszeiten checken, Bankautomaten finden... Nach 24 Stunden war dann das eine Telefon kaputt, es ließ sich nicht mehr laden, weil Wasser in die Ladebuchse gekommen ist.
Radfahren mit so wenig Pausenzeit wie möglich und drei Stunden Schlaf pro Nacht.
Ich hatte geplant, das Rennen ruhig anzugehen und zum Ende hin die Geschwindigkeit zu steigern und den Schlaf zu reduzieren. Den Abschnitt bis zum Checkpoint 1 sah ich als Aufwärmen, bis zum Checkpoint 2 wollte ich eine Routine entwickeln und dann zum Checkpoint 3 schneller werden und Gas geben. Das hat auch genau so funktioniert. Dabei wusste ich immer, mir werden Fehler passieren. Aber die muss ich hinnehmen und daraus lernen. In der ersten Rennhälfte wollte ich immer drei Stunden schlafen. Meine Pausen waren etwa von null bis vier Uhr nachts. Etwa zwischen 7 und 23 Uhr, also solange die Sonne draußen war, bin ich mit ordentlich Druck gefahren. Natürlich habe ich versucht, so wenig Pausen wie möglich zu machen und nur anzuhalten, wenn es notwendig war.
Schnell habe ich gemerkt, dass sich eigentlich nur Tankstellen zum Einkaufen eignen, alles andere dauert zu lange. Dort gab es meistens Snickers, dreieckige Sandwiches und diese verpackten 7days-Croissants. Dazu hauptsächlich Wasser, Cola, Espresso, manchmal Pommes. Pommes sind besonders wegen des Salzes eine gute Option.
Mein Plan war, immer abwechselnd ein Zimmer zu buchen und draußen zu schlafen. Mal wurde es eine Bushaltestelle, mal ein gefliester Vorraum eines Einkaufsladens. Die Suche nach geeigneten Schlafplätzen fand ich mühsam, das können andere viel besser. Manchmal habe ich eine halbe Stunde lang nach einem geeigneten Platz Ausschau gehalten und bin in den 30 Minuten dann nur fünf Kilometer weit geradelt, weil ich genau schauen musste und immer wieder angehalten habe, um festzustellen, hier passt es doch nicht, also weiter. Da kann ich definitiv noch was lernen.
Die letzten drei Nächte habe ich draußen geschlafen, da war dann irgendwann auch alles egal. Die Kleidung war nass, der Schlafsack war nass und es hat auch mal genieselt.
Das kann ich nicht sagen. Beim RAAM gibt es einen Ernährungsplan und ein Protokoll. Beim TCR habe ich einfach gegessen und nicht protokolliert.
Eher auf die Psyche. Wenn wieder Baustellen die Weiterfahrt versperrten, abgerissene Brücken oder ich von der Route abgekommen bin. Auf Parcours 4 habe ich mich vorbereitet, das war gut. Ich war vorher ein paar Tage dort. So wusste ich, was auf mich zukommt und ich bin pannen- und sturzfrei durchgekommen. Wenn ich den Streckenabschnitt im Rennen zum ersten Mal gesehen hätte, dann hätte das vermutlich ganz anders ausgesehen und ich hätte die Rennleitung verflucht. So stelle ich mir natürlich trotzdem die Frage, ob ein solcher MTB-Abschnitt sein muss.
Eigentlich nur taube Finger. Eine Hand ist noch ein bisschen schwach und taub, aber es wird besser. Sonst nichts. Ich hatte keine Knieprobleme und keine Sitzbeschwerden. Extrem verwundert hat mich, im positiven Sinne, dass ich keine Probleme mit der Verdauung hatte. Bei etwa 15 Snickers und 3 Litern Cola am Tag hätte ich das anders erwartet.
Das war fürchterlich! Ich hatte Panik, dass wir disqualifiziert werden. Im Ziel gab ein Acht-Augen-Gespräch mit den zwei Rennleitern, Ulrich Bartholmoes und mir, da konnten wir die Situation zum Glück klären.
Ich habe mir immer gedacht, ich werde besonders aufpassen und besonders darauf achtgeben, was ich mache, weil sicher viele Augen auf mich gerichtet sind. Ich habe das Race-Manual genauestens studiert. Ulrich und ich waren vielleicht sogar die einzigen, die eine Klingel am Rad hatten, denn die ist in einigen Ländern vorgeschrieben.
*Christoph Strasser und Ulrich Bartholmoes sind sich nach 3500 Kilometern mitten im Rennen begegnet und wollten den Moment mit einer gemeinsamen Cola feiern. Bartholmoes Bankkarte funktionierte nicht, Strasser lieh ihm dafür Geld. Ist es Support, wenn einer dem anderen Geld leiht? Werden beide disqualifiziert? Diese Fragen standen im Raum.
Das Problem hatte ich eigentlich nie. Mitunter habe ich die nächste Tankstelle mal eine halbe oder eine Stunde später gefunden, als ich gewollt hätte, aber ich war nie unterversorgt.
Extrem schön. Der Umgang miteinander war sehr wertschätzend, man hat einfach miteinander gesprochen, Small Talk geführt, vielleicht über Probleme, die bisher aufgetreten sind. Mit Krystian Jakubek, dem Zweitplatzierten, bin ich am Reschenpass mal nebeneinander gefahren oder mit 100 Metern Abstand. Wir sind uns immer wieder begegnet und haben miteinander gelacht, weil wir uns gegenseitig nicht abhängen konnten. Schöne Situationen waren auch, wenn jemand plötzlich abgebogen ist und eine Stunde später von der anderen Seite wieder auf meine Route kam.
Die Leute kennenzulernen war wirklich eine der schönsten Erfahrungen, die ich beim Transcontinental Race machen durfte. Kein Prahlen, keine Selbstdarstellung, gegenseitig wertschätzend. Das habe ich bei anderen Veranstaltungen schon anders erlebt - wenn Leute glauben, sie seien die Superstars.
Das ist eine schwierige Frage. Die Leistungsdichte war schon sehr hoch, das habe ich beim RAAM seit vielen Jahren nicht erlebt. Ich fände es schon spannend, aber es ist natürlich auch die Frage, ob das gewollt ist. Ob dadurch vielleicht der Spirit der Veranstaltung abhanden kommt. Deshalb hatte ich die Veranstalter ja auch im Vorfeld gefragt, ob es okay ist, wenn ich teilnehme.
Keine Ahnung - Alles ist möglich. Das TCR reizt mich schon wieder.