Abu Dhabi Gran FondoTagesrennen lockt mit Rekord-Preisgeld

Joscha Weber

 · 07.01.2024

Der Abu Dhabi Gran Fondo lockt mit Rekord-Preisgeld.
Foto: Bike Abu Dhabi/Abu Dhabi Sports Council
Die Vereinigten Arabischen Emirate haben viel vor im Radsport: Das nach Punkten stärkste World-Tour-Team haben sie schon, eine Landesrundfahrt ebenfalls, 2028 folgt die Rad-WM in Abu Dhabi. Jetzt locken sie mit einem internationalen Gran Fondo – und dem höchsten Preisgeld weltweit. TOUR ist mitgefahren.

Das Rennen ist erst wenige Sekunden alt und schon herrscht Stress pur. Sofort nachdem das Führungsfahrzeug vorgezogen und damit die Neutralisation beendet hat, wird attackiert. Ein paar Übermotivierte jagen im Wiegetritt davon, dahinter schnellt das Tempo ebenfalls hoch. Nach ein paar Hundert Metern zeigt mein Tacho bereits 60 km/h. Und das quasi im Blindflug: Es ist noch stockfinster, Sonnenaufgang erst in einer guten halben Stunde. Straßenlaternen erhellen die ersten Kilometer in Al Bahyah, einem Vorort von Abu Dhabi, manches bleibt im diffusen Licht aber schemenhaft. Vor mir reißt einer seine Rennmaschine hoch, reflexartig tue ich das Gleiche und fliege über einen Speedbumber, den ich nicht hatte kommen sehen.

Dann geht’s in den nächsten Kreisverkehr und ich arbeite mich außen etwas weiter nach vorn. Dort sehe ich, wie Fancisco Mancebo attackiert, 2005 Vierter der Tour de France und im Alter von 47 Jahren tatsächlich immer noch Profi auf Continental-Niveau. Er setzt sich mit einer kleinen Gruppe ab, die sich aber nicht lange wehren kann gegen das immense Anfangstempo im Peloton. Alle sind heiß auf den großen Preis beim Bike Abu Dhabi Gran Fondo, dem Amateurrennen mit dem weltweit höchsten Preisgeld. Schon jetzt wird um Positionen gefightet, als wäre es das Finale. Dabei sind noch 150 Kilometer zu fahren. Na, das kann ja heiter werden.

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Abu Dhabi Gran Fondo startet vor Sonnenaufgang

Eine Stunde zuvor schaue ich noch in gähnende Gesichter. Es ist fünf Uhr früh und dunkel, als mich der Taxifahrer auf einem Parkplatz rauslässt, gut 30 Kilometer von der Innenstadt Abu Dhabis entfernt. Ein paar Gestalten laden stumm ihre Räder aus den Autos. Man sieht kaum die Hand vor Augen. Während das Thermometer hier Mitte November tagsüber meist an der 30-Grad-Grenze kratzt, ist es jetzt noch deutlich kühler. Die morgendliche Stille durchdringt ein lauter Ruf. Der Muezzin ruft durch die Lautsprecher einer Moschee auf der anderen Straßenseite zum Gebet auf. Und dem folgt ein Teil des Personals der Rennorganisation. Unter einer Laterne versammeln sie sich zum gemeinsamen Beten.

Das Rennen beginnt noch vor Morgengrauen und führt die 800 Teilnehmer von einem Vorort Abu Dhabis bis in die Oasenstadt Al Ain.Foto: Bike Abu Dhabi/Abu Dhabi Sports CouncilDas Rennen beginnt noch vor Morgengrauen und führt die 800 Teilnehmer von einem Vorort Abu Dhabis bis in die Oasenstadt Al Ain.

Rekord-Preisgeld beim Gran Fondo

Daneben illuminieren ein paar generatorbetriebene Scheinwerfer einen kleinen Abschnitt des riesigen Parkplatzes. Ein paar Ordner kontrollieren bereits Startnummern und Startblockzugehörigkeit: Elite mit Lizenz links, Jedermänner und -frauen rechts. In der Startaufstellung komme ich mit ein paar Jungs aus Bahrain ins Gespräch. Sie stammen zum Teil aus Nordafrika, fahren aber für einen Club in Bahrain. Das hohe Preisgeld hat sie hergelockt, erzählen sie. Das gilt vermutlich für viele der rund 800 Starter. Sage und schreibe eine halbe Million Euro schütten sie an die besten Teilnehmer des Gran Fondo aus.

Im Vergleich zu europäischen Rennen eine andere Dimension. Während es hierzulande in der Regel kleinere Sachpreise oder gar nichts gibt für die Sieger, wirbt der Veranstalter – der Sportverband von Abu Dhabi – offensiv auf Social Media mit den hohen Prämien für Sieger und Platzierte. Auch in den Altersklassen werden je gut 5000 Euro an die Sieger ausgezahlt, an beide Geschlechter gleichermaßen wohlgemerkt, wovon viele europäische Rennen noch weit entfernt sind. Für Abu Dhabi ist der Gran Fondo dabei nur ein kleiner Baustein eines großen, millionenschweren Radsport-Masterplans (siehe unten), der von der Regierung der Emirate getragen wird.

Der Abu Dhabi Gran Fondo lockt mit einem Rekord-Preisgeld.Foto: Bike Abu Dhabi/Abu Dhabi Sports CouncilDer Abu Dhabi Gran Fondo lockt mit einem Rekord-Preisgeld.

Ex-Profis geben beim Gran Fondo den Ton an

Dazu zählt auch das Dubai Police Cycling Team; es ist eine der größten Mannschaften im Rennen und schiebt sich mit einem Dutzend Fahrern an die Spitze des Feldes. Im Team fahren längst nicht nur Polizisten aus Dubai, sondern auch starke Fahrerinnen und Fahrer aus Afrika, Europa und Asien. In der Morgendämmerung schicken sie erfolgreich einen ihrer Fahrer in die fünfköpfige Fluchtgruppe und versuchen das Rennen fortan zu kontrollieren. Nach 65 Kilometern hat das Quintett bereits 2:25 Minuten Vorsprung auf das Feld, wo angesichts des großen Vorsprungs langsam einige nervös werden. Das Shabab Al Ahli Cycling Team ist vorne in der Spitzengruppe nicht vertreten und übernimmt mit mehr als 20 Fahrern die Nachführarbeit.

Vorjahressieger Grega Bole aus Slowenien führt hier erkennbar die Regie: “Go, guys, are you sleeping!?”, treibt er seine Teamkollegen lautstark an, das Loch wieder zuzufahren. Bole war bis 2020 World-Tour-Profi im Team Bahrain und fährt jetzt semiprofessionell in den Emiraten. Hinter den großen Teams, die ihre langen Reihen an der Spitze des Feldes scharf gegen “Eindringlinge” verteidigen, entbrennt ein konstanter Kampf um Positionen. Alle wollen nach vorne. Selbst die breiten, perfekt asphaltierten Straßen durch die Wüste östlich von Abu Dhabi sind nicht breit genug. Manche drängeln sich auf dem schmutzigen Seitenstreifen nach vorne und einige bereuen es kurz darauf, weil pfeifend Luft aus ihren Reifen entweicht.

Immer wieder Stürze

Die Spitze des Feldes ist wie eine große Waschmaschine: Kaum hat man sich außen nach vorne gearbeitet, wird man schon wieder im dichten Gedränge in der Mitte nach hinten gespült. Nicht mitzumachen bei den Positionskämpfen ist auch keine Option, denn immer wieder kracht es in der Mitte des Feldes. Zwei Fahrer verhaken sich und reißen gleich eine ganze Reihe an Fahrerinnen und Fahrern mit zu Boden. Puh, das war knapp, denke ich, und ein Mitstreiter neben mir im gelben Dress des VC Frankfurt scheint das Gleiche zu denken. “Wahnsinn!”, sagt Julian Fröhlich und holt tief Luft, “supernervös heute hier alle.”

Er hat den Vergleich: Er lebt seit ein paar Monaten in Abu Dhabi, bestreitet hier regelmäßig Radrennen und erzählt, dass der Gran Fondo besonders aggressiv angegangen wird – wegen des hohen Preisgeldes. Während Julian sich den Stress im Feld nicht mehr geben will und sich später in eine zweite Gruppe verabschiedet, wechsle ich meine Strategie: Ich spreche die Jungs des Dubai Police Teams an und biete an, mit durch die Führung ihrer Reihe zu gehen, was sie annehmen. Das kostet zwar bei 45 km/h im Wind ein paar Körner, aber dafür habe ich nun meinen unangefochtenen Platz weit vorne im Feld und gehe den Stürzen aus dem Weg.

Kampf um die ersten Plätze

Nach gut hundert tellerflachen Kilometern wird das Profil der Strecke nun zumindest etwas welliger. Die kurzen Anstiege auf der Straße nach Al Ain haben sich einige dick im Roadbook angestrichen und jagen mit Vollgas hinauf. Doch hier will sich niemand abhängen lassen, so kurz vor dem Ziel. In Einerreihe ballern wir den Attacken hinterher, mein Pulsmesser zeigt 185 Schläge pro Minute. Die Tempohatz bringt uns tatsächlich wieder in Sichtweite zu den Ausreißern an der Spitze. 17 Kilometer vor dem Ziel sind sie wieder gestellt. Das ist der Moment, in dem ich meine Attacke setze. Ich schieße rechts am Feld vorbei und fahre mit drei anderen Fahrern eine kleine Lücke heraus. Wir machen uns klein und jagen mit 55 km/h davon – nur um kurz darauf festzustellen, dass uns das Feld wieder eingeholt hat.

Satz mit X, das war wohl nix. Und dann wird es richtig haarig: Mit viel Speed schießen wir in eine große Unterführung und plötzlich knallt es direkt vor mir. Räder und Körper fliegen durch die Luft, Metall schrappt über den Asphalt. Fast auf der gesamten Fahrbahnbreite stürzen Teilnehmer. Ich komme mit einer Vollbremsung irgendwie noch zwischen Fahrerknäuel und Mauer hindurch. Die Spitze ist mir aber enteilt, hinterher! Nach einer Aufholjagd schaffe ich es wieder bis in die Kopfgruppe, die auf rund hundert Fahrer geschrumpft ist. Nach gut 150 Kilometern biegen wir mit hohem Tempo auf die Zielgrade ein. Ich mobilisiere die letzten Kräfte, um mich außen im Wind weiter nach vorne zu arbeiten.

Unter die Top-5

Dubai Police fährt einen Sprintzug wie aus dem Lehrbuch und liefert ihren Sprinter Yacine Hamza in perfekter Position ab. Der Vize-Afrikameister aus Algerien gewinnt den Sprint souverän, dahinter wird um jeden Platz gefightet. Ich habe mein Pulver leider verschossen und rolle enttäuscht als 43. ins Ziel. Dort erfahre ich, dass es noch zu Platz 5 meiner Altersklasse gereicht hat und ich es somit tatsächlich noch ins Preisgeld geschafft habe. Wohl auch deshalb blicke ich im Zielbereich am Rande der Oasenstadt Al Ain in viele glückliche Gesichter. Bei den kostenlosen Massagen wird gelacht, am Buffet von den Erlebnissen im Peloton berichtet. Im Konfettiregen der spektakulären Siegerehrung sind Strapazen, Stürze und Streitereien während des Rennens schnell vergessen, zumindest für die, die ohne Blessuren davongekommen sind – und sich jetzt auf eine satte Prämie freuen dürfen.


Die wichtigsten Infos zum Gran Fondo in Abu Dhabi

Abu Dhabi hat viel vor im Radsport und investiert Millionen in Events, Infrastruktur und das Team UAE Emirates.Foto: Getty ImagesAbu Dhabi hat viel vor im Radsport und investiert Millionen in Events, Infrastruktur und das Team UAE Emirates.
  • Distanz: 154 km
  • Höhenmeter: 470
  • Start: Al Bahyah, Abu Dhabi
  • Ziel: Al Bateen, Al Ain
  • Startzeit: 6 Uhr
  • Preisgeld: gesamt 505.000 Euro
  • Preisgeld Gesamtsieger/-in: 25.275 Euro
  • Preisgeld Altersklassensieger/-in: 5055 Euro Altersklassen (jeweils Frauen und Männer): 18–34, 35–39, 40–44, 45–49, 50–54, 55–59, 60–64, 65–69, 70–74, 75+
  • Startberechtigt: UCI Continental Teams, Elite, Amateure, Jedermänner und -frauen
  • Startgeld: 105 Euro (inklusive Rücktransfer per Bus von Al Ain nach Al Bahyah)

Abu Dhabis ehrgeizige Radsportpläne

Die Vereinigten Arabischen Emirate eine Radsportnation? Was früher angesichts des immensen Autoverkehrs, fehlender Radwege und einer kaum existenten Radsportszene als undenkbar galt, ist inzwischen anders. Die Emirate sind zu einem Schwergewicht des internationalen Radsports geworden: Das UAE Team um Tadej Pogacar ist das nach Punkten stärkste Rad-Team der Welt, die UAE Tour ist fest im Rennkalender der World-Tour etabliert. In der Hauptstadt Abu Dhabi haben sie bereits die Urban-Cycling-WM ausgetragen, 2028 folgt die Straßen-WM und 2029 die Bahnrad-WM.

Das alles wird auf einer künstlich geschaffenen Insel stattfinden, Al Hudayriyat Island, ein Multimilliarden-Projekt mit 51 Millionen Quadratmetern Fläche. Dort befindet sich schon jetzt eine Trainingsstrecke exklusiv für Radsportler; Velodrom und Mountainbikeparcours sind im Bau. Dazu kommen wöchentliche Trainingszeiten auf der Formel-1-Strecke Yas Marina Circuit und offiziell inzwischen 300 Kilometer Radwege.

Für diese Maßnahmen verlieh die UCI Abu Dhabi als erster asiatischer Stadt das Label UCI Bike City. In der Realität bedeutet das allerdings nicht, dass man sich mit dem Rad überall in der Stadt gut bewegen könnte. Große Schnellstraßen mit viel Verkehr und ohne Radweg prägen das Stadtbild und führen dazu, dass (noch) viele Radsportler ihr Rad zunächst ins Auto legen, um damit dann zu einer der ausgewiesenen Trainingsstrecken zu fahren und dort zu trainieren. Die Radszene verzeichnet jedoch deutlichen Zulauf und profitiert von den vielen neuen Radstrecken.

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