Unbekannt
· 01.08.2007
Was für Verliebte die rosarote Brille, ist für Radfahrer die orange: Sie färbt alles ein bisschen schöner, freundlicher – sogar einen grauen Herbsttag. Lesen Sie, welchen Einfluss die Farben von Brillenscheiben haben und für welches Wetter sie sich eignen. (TOUR 4/2007)
Unsere Augen sind mit Abstand das fleißigste Sinnesorgan: Etwa 80 Prozent unserer Eindrücke bekommen wir über sie. Rund 160 Reinfarben und um die 600.000 Farbnuancen können wir erkennen. Beziehungsweise das, was wir dafür halten. Physikalisch gesehen ist alles Bunte nämlich nicht bunt, sondern bloß Licht, das in unterschiedlichen Wellenlängen in das Auge fällt. Dort nehmen es die jeweiligen Rezeptoren auf und geben es als Reiz ans Gehirn weiter, wo es in einen Farbeindruck übersetzt wird.
Das Original: So würde man die Fahrszene ohne Brille sehen.
Die Bilder am rechten Rand simulieren verschiedene Glasfarben und deren Wirkung
Rot entsteht zum Beispiel, wenn kurz- (Blau) und mittelwellige (Grün) Schwingungen von einem Gegenstand geschluckt werden und nur noch lange (rote) Wellen auf das menschliche Auge treffen. Dabei entsteht aber nicht DAS Rot. Je nach Umgebung und Zusammensetzung des Lichts macht das Gehirn ein kräftiges Kirschrot oder ein pastelliges Blassrot daraus.
Warum wir trotzdem nicht an unserem Fahrrad vorbeirennen, weil es in der Abenddämmerung anders aussieht als in der Mittagssonne, liegt daran, dass das Auge losgelöst von Farbe funktioniert. Es kann Gegenstände unabhängig von ihrer Beleuchtung erkennen und passt sich schnell an die jeweiligen Lichtverhältnisse an.
So ist es auch zu erklären, dass man nach einer Weile vergisst, dass man eine Sonnenbrille trägt. Das Auge hat sich daran gewöhnt, dass die Welt eine etwas andere Färbung hat. Ein Täuschungsmanöver, das sich Radfahrer zunutze machen können. Denn mit dem richtigen Filter – der richtigen Scheibenfarbe und Abdunklung einer Radbrille – kann man Störfaktoren, wie zu viel oder zu wenig Licht, ausgleichen.
“Die Glasfarbe kann Kontraste verstärken oder dämpfen und auch Blendung verringern oder stärker machen”, sagt Gabriele Eckmann vom Offenbacher Optikfachgeschäft brillenladen.de. Ein Beispiel: Eine orange Scheibe schluckt einen Großteil der blauen Strahlen und lässt grünes und rotes Licht durch. Der Rot-Grün-Kanal im Auge ist für die Helligkeit zuständig, die Kontraste erscheinen uns heller, die Kanten schärfer. Umgekehrt lassen graue Gläser hauptsächlich blaues Licht durch, der Unterschied zwischen hellen und dunklen Flächen ist geringer. “Das ist kräftezehrend für den Organismus”, erklärt Friedrich Einwich von Sportbrillen-Internetversand Blickfabrik. “Denn das Auge muss mehr Energie aufwenden, um die Schwächung der Lichtkraft zu überwinden.”
Das hat während einer Ausfahrt ohnehin schon genug damit zu tun, sich dem ständigen Wechsel von Licht und Schatten anzupassen. Erschwert man ihm die Arbeit noch durch eine sehr dunkle Brille, kann es sich plötzlichen Helligkeitsverminderungen, wie nach der Einfahrt in einen Wald, nicht mehr schnell genug anpassen, weil es zu wenig Lichtreize bekommt. Und auf einer öffentlichen Straße minutenlang kaum etwas zu sehen, kann einen im schlimmsten Fall das Leben kosten.
Auch phototrope Scheiben, die je nach Lichtverhältnissen die Tönung ändern, sind für Rennradler keine echte Alternative zu eher hellen Scheiben. “Die Gläser reagieren auf UV-Strahlung, und die kommt bei jedem Wetter auf die Erde”, warnt Einwich. “Es kann also sein, dass die Scheiben sich auch dann verdunkeln, wenn man es nicht braucht, zum Beispiel bei trübem Wetter.”
Der richtige Blendschutz, also wie stark das Glas abdunkelt, spielt für scharfe Sicht eine ähnlich große Rolle wie die Scheibenfarbe. “Es gibt für jeden Untergrund und alle Lichtverhältnisse die richtige Tönung”, weiß Uli Mößlang, Augenoptik-Meister bei Optik Freudenhaus in München, wo er für das Sportbrillen-Segment zuständig ist. Bei starker Sonne kann man beispielsweise durch braune Scheiben mit einer Sättigung von 85 Prozent gut sehen. “Das braucht man aber höchstens auf Alpentour im Hochsommer”, sagt Mößlang. Bei wechselnden Lichtverhältnissen, wie in unseren Breitengraden, sind ein Blendschutz von 60 bis 80 Prozent und gelbbraune oder orange Gläser optimal. Die sollen übrigens auch die Stimmung heben – falls Rad fahren allein nicht reicht.
WISSENSWERTES
• UV-Schutz: Der UV-Schutz hängt nicht von der Glasfarbe ab. Das Etikett “UV 400” oder “100 % UV-Schutz” bedeutet, dass die Scheibe ultraviolettes Licht (UV) komplett abblockt, da es bis zu einer Wellenlänge von 400 Nanometern schützt. UVB-Strahlen haben eine Wellenlänge von 280 bis 315 Nanometern, die UVA-Strahlen zwischen 315 und 380 Nanometern.
• Transmission/Absorption: zeigt an, wie viel Licht eine Scheibe durchlässt (Transmission) bzw. wie viel sie schluckt (Absorption). Allgemein auch Blendschutz genannt. Es gibt die Schutzstufen 0 (sehr heller Filter für abends) bis 4 (sehr dunkler Filter für Hochgebirge und Gletscher). In unseren Breitengraden sind die Kategorien 2 (bis 82 Prozent Lichtabsorption, Universalfilter) und 3 (bis 92 Prozent Lichtabsorption, für Strand und Berge) am besten geeignet.
• Phototrop: Phototrope oder photochromatische Gläser passen sich den Lichtverhältnissen an. Je nach UV-Strahlung werden sie hell oder dunkeln ab. Für Radfahrer nur bedingt geeignet (siehe Lauftext).
• Polarisierend: Polarisierende Scheiben haben einen Filter bzw. eine Beschichtung, die Reflexionen auf spiegelnden Flächen, wie Wasser, ausschaltet. Bedingt geeignet für Rennradler, da die Abbildungsqualität von Hersteller zu Hersteller stark variiert und die Scheiben oft zu dunkel sind.
• Anti-Fog: Beschichtung, die verhindern soll, dass die Brille beschlägt. Die Gläser sind oft kratzempfindlicher als unbeschichtete Gläser.
INTERVIEW
»Es kommt nicht nur auf die Farbe an«
TOUR: Herr Prof. Irtel, hat die Scheibenfarbe einer Radbrille Einfluss auf die Stimmung ihres Trägers?
IRTEL: Natürlich werden warme Farben wie Gelb eher positive Stimmungen vermitteln als grünliche und bläuliche Farben. Ein Filter, wie ein Brillenglas, ändert die scheinbare Verteilung der Farben in der Umwelt. Mit einem Gelbfilter wird gewissermaßen die Anzahl der gelben Objekte in unserer Umgebung etwas größer. Da wir, wie gesagt, Gelb allgemein als warme, anregende Farbe empfinden, kann auf diese Weise auch die Stimmung beeinflusst werden.
TOUR: Könnte man das fürs Rad fahren nutzen? Zum Beispiel in aggressivem Rot getönte Gläser im Rennen?
IRTEL: Sicher nicht. Zum einen macht Rot nicht aggressiv, sondern regt an. Zum anderen sieht man mit einer roten Brille nach einiger Zeit kein richtiges Rot mehr. Das schönste Rot nimmt man nur in einer grünen oder bläulichen Umgebung wahr und das verhindert die rote Brille, weil sie diese Farben filtert. Das heißt, eine Farbe existiert nicht ohne andere Farben? Könnte man sagen. Braunes Licht gibt es zum Beispiel gar nicht. Eine Oberfläche muss im Kontrast zu anderen Oberflächen stehen, um braun zu wirken. Eine Brillenscheibe kann braun aussehen, wenn man sie in der Hand hält. Setzt man sie auf, sieht man ein dunkles Gelb. Farben und ihre Effekte können also nur zur Geltung kommen, wenn es Farbkontraste gibt.