

Test 2016: Neue Gelände-Renner
Cross-Rennräder, Gravelbikes & Co. im TOUR Test
Früher war alles einfacher – vor allem aber übersichtlicher. Rennradler, die auch in der kalten Jahreszeit nicht genug von ihrem Hobby hatten, wechselten im Winter entweder aufs Crossrad oder aufs Mountainbike. Oder, dritte Möglichkeit, sie schraubten sich an ein vorzugsweise ausrangiertes Rennrad Schutzbleche und Lichtanlage und trainierten weiter auf der Straße. Spätestens im April wurde dann wieder das Straßenrad aus dem Keller geholt. Natürlich stehen diese Möglichkeiten auch heute noch allen Radsportlern offen. Doch mittlerweile versucht die Fahrradindustrie, für jede noch so kleine Nische Modelle anzubieten, die speziell auf oft sehr schmale Anwendungsbereiche zugeschnitten sind. Den Rennradmarkt hat diese Entwicklung vergleichsweise spät erfasst. Vorreiter bei der Aufspaltung in immer kleinere Unterkategorien war das Mountainbike, bei dem heute zwischen etlichen Subspezies – vom klassischen Hardtail bis zum Downhill-Bike – unterschieden wird, mit Abstufungen, die Außenstehende oft kaum nachvollziehen können. Nicht ganz so verwirrend sieht es beim Straßenrennrad aus, wo der Markt mit klassischen Wettkampfrädern, Aero- und Marathonmodellen noch vergleichsweise übersichtlich ist.
Diese Testergebnisse dieser Gelände-Renner finden Sie unten als PDF-Download:
• Bulls Daily Grinder
• Cannondale Slate Ultegra
• Giant Anyroad
• Open U.P.
• Salsa Warbird Carbon
• Stevens Super Prestige Di2 Disc
DIE GRENZEN VERSCHWIMMEN
Eine vergleichbare Entwicklung vollzieht sich neuerdings auch beim Gelände-Rennrad. Lange war das Crossrennrad, das ja für sich genommen eine vergleichsweise kleine Nische besetzt, das Maß der Dinge. Neuerdings tritt neben das Crossrad das sogenannte Gravelbike. Gravel steht im Englischen für Schotter. Die Ursprünge der Gattung liegen im Mittleren Westen der USA, wo es viele ausgedehnte, wenig befahrene Schotterstraßen gibt, die perfekt wären zum Rennradfahren – wenn da nicht auch der für schmale Reifen ungeeignete Straßenbelag wäre. Von der Grundidee her sind Gravelbikes daher Zwitter zwischen Cross- und Marathonrädern. Sie bieten mindestens die Reifenfreiheit eines Crossrennrades und kombinieren diese mit einer Touren- und langstreckentauglichen Sitzposition.
Was die Abgrenzung zum Crossrad allerdings schwierig macht, ist die Tatsache, dass nicht alle Hersteller die gleichen Vorstellungen davon haben, was ein Gravelbike genau sein soll. Die US-Marke Salsa, einer der Gravel-Vorreiter, legt ihr Modell Warbird zum Beispiel sehr sportlich aus. Die Sitzposition ist nur ein bisschen aufrechter, der Radstand nur minimal länger als bei einem typischen Crosser. Auf der anderen Seite gibt es viele Crossrennräder, die nicht radikal sportlich ausgelegt sind. Modelle wie das Giant TCX oder das Specialized Crux, die wir in den vergangenen beiden Jahren getestet haben (TOUR 11/2013 und 11/2014), weisen für Cross-Verhältnisse eher gemäßigte Geometrien auf. Wer die Geometriedaten dieser Räder mit denen des Warbird vergleicht, sieht nur marginale Unterschiede. Das macht es nicht ganz leicht nachzuvollziehen, warum das Warbird in eine andere Radkategorie fallen soll.
Auf jeden Fall aber hat das Gravelbike den Markt für Geländerennräder in Bewegung gebracht. Hersteller denken plötzlich verstärkt über Details und Einsatzgebiete der Räder nach. Zugleich eröffnet der neue Gattungsbegriff den Entwicklern die Freiheit, Dinge auszuprobieren, die beim klassischen Crossrad undenkbar wären. Eine Federgabel am Geländerad wie beim atemberaubend avantgardistischen Slate von Cannondale? Beim Crossrad undenkbar, bei einem Gravelbike dagegen Ausweis von Innovation.
NEUE EXPERIMENTIERFREUDE
Eine ähnliche Entwicklung könnte sich auch bei den Laufrädern vollziehen. Bei Mountainbike-Neuheiten hat 27,5 Zoll mittlerweile das klassische Maß 26 Zoll komplett verdrängt. 27,5 und 29 Zoll sind im MTB-Bereich die aktuell gängigen Größen. Die Laufradgröße 27,5 Zoll kann auch für Gravelbikes interessant sein. Denn ein 27,5-Zoll-Laufrad mit einem etwa 40 Millimeter breiten Reifen hat nahezu den gleichen Außendurchmesser wie ein Rennradlaufrad mit schmalem 23er-Pneu. Durch die breiteren Reifen verbessern sich die Offroad-Qualitäten der Räder dramatisch. Auf der anderen Seite bleibt die Rennradoptik halbwegs gewahrt und – entscheidender – das Lenkverhalten bleibt wie beim Rennrad gewohnt. Vorreiter bei Gravelbikes mit 27,5-Zoll-Laufrädern sind ebenfalls Cannondale mit dem Slate und die kleine Schweizer Marke Open mit ihrem spannenden Modell U.P..
Wer nun befürchtet, dem Geländerennrad drohe bei den Laufradgrößen demnächst ein ähnliches Chaos, wie es die Mountainbiker in den letzten Jahren erlebt haben, darf sich entspannen. Durch den fortschreitenden Trend zu Scheibenbremsen und Steckachsen-Systemen ist es bei einigen Gravel-Modellen schon jetzt möglich, zwischen 28-Zoll-Laufrädern mit schmalen Reifen und 27,5-Zoll-Laufrädern mit breiteren Reifen zu wechseln. Entscheidend ist die Reifenfreiheit, die Rahmen und Gabel bieten. Wir wagen die Prognose, dass diese Spielmöglichkeiten die Experimentierfreude der Hersteller beflügeln und in den nächsten Jahren noch einige spannende Radkonzepte hervorbringen werden. Der einzige Nachteil, der daran bisher erkennbar ist: So übersichtlich wie früher wird der Rennradmarkt sicher nie wieder werden.

Alle Artikel dieser Ausgabe finden Sie in TOUR 4/2016: Heft bestellen-> TOUR IOS-App-> TOUR Android-App->
-
Artikelstrecke: Cross-Rennräder, Gravelbikes & Co. im TOUR Test
-
Cross-Rennräder, Gravelbikes & Co. im TOUR Test
-
Pendler-Rad: Bulls Daily Grinder im Test
-
Gravelbike: Cannondale Slate Ultegra im Test
-
Alltagsrad: Giant Anyroad im Test
-
Pfadfinder: Open U.P. im Test
-
Gravelbike: Salsa Warbird Carbon im Test
-
Cross-Rennrad: Stevens Super Presige Di2 Disc im Test
- Mehr zum Thema
-
RennräderTest 2015: 11 Crossräder
Das Crossrad durchlebt derzeit den größten Wandel seiner Geschichte: Scheibenbremsen sind fast schon der neue Standard, Steckachsen im Kommen, und ein Komponentenhersteller meint sogar, ein einzelnes Kettenblatt reiche für die Hatz durchs Gelände. All diesen spannenden Entwicklungen sind wir nachgegangen. Im Test sind elf brandneue Crossrenner von 1.700 bis 5.500 Euro.
-
RennräderCross-Rennräder 2014 mit Scheibenbremsen
Cross-Renner kommen auf breiter Front mit Scheibenbremsen – am robusten Trainingsgerät ebenso wie an der federleichten Wettkampfwaffe. Unser Test von zwölf Rädern klärt, was die neue Technik bringt.
- Das könnte Sie auch interessieren
-
Test 2021: Marathon-Rennräder bis 2.500 EuroNeun Multitalente für Marathon, Training und Tour
Der TOUR-Test von neun Marathonrädern um 2.500 Euro zeigt: Die Rennrad-Entwicklung steht nicht still, und das Angebot wird immer facettenreicher. Ob für Wettkämpfer oder Abenteurer – für jeden ist etwas dabei.
-
Neues Top-Rad: Bianchi SpecialissimaBianchi legt Traditionsrenner Specialissima neu auf
Mehr Aero bei gleichbleibend geringem Gewicht: Mit dem neuen Specialissima will Bianchi einen Allrounder auf High-End-Niveau geschaffen haben. Wie gut ist das neue Modell der italienischen Traditionsmarke?
-
Neues Crossrad: Cube Cross Race C:62 Team EditionCube Cross Race: Inspiriert von Cross-Action der Profis
Die deutsche Radmarke Cube bringt mit dem Cross Race C:62 TE ein klassisches Querfeldein-Rad auf den Markt. Alle Infos zu dem neuen Crosser für gut 3.500 Euro finden Sie hier.
-
Specialized Aethos: Neues LeichtbauradSpektakulär leicht: Das neue Specialized Aethos
Specialized wirbt für das neue Leichtbau-Modell Aethos mit einem Rahmengewicht unter 600 Gramm. Ein Überblick über das neue Rennrad und alle Ausstattungsvarianten.
-
Canyon Aeroad 2021Canyon legt Aero-Renner komplett neu auf
Das Canyon Aeroad bekommt im neuen Modelljahr 2021 einige gravierende Änderungen verpasst. Wie Canyons beliebtestes Wettkampf-Rad aussieht und welche Details besonders spannend sind, lesen Sie hier.
-
Contador und Basso präsentieren die Radmarke AurumAurum Magma: Wenn Rad-Profis Räder bauen
Ein Rennrad, entwickelt von Alberto Contador und Ivan Basso: Das neue Aurum Magma soll das beste Rennrad aller Zeiten sein. Was steckt hinter den markigen Worten?