

Einzeltest: Ritchey Swiss Cross
Als der US-amerikanische Komponentenhersteller und Rahmenbauer Tom Ritchey im März 2011 auf der Northamerican Handmade Bicycle Show, dem alljährlichen Hochamt für handgefertigte Fahrräder, eine Neuauflage des Klassikers Swiss Cross zeigte, war das Echo in der Szene überwältigend. Keine einschlägige Internet-Seite, die nicht ausführlich auf das Rad einging, dessen Vorgänger Ritchey schon in den 1990er-Jahren gebaut, zwischenzeitlich aber aus dem Programm genommen hatte. Zunächst war zwar nicht klar, ob das Modell überhaupt wieder in Serie gehen sollte. Doch die Begeisterung der Fans räumte Tom Ritcheys mögliche Zweifel aus. Und im Sommer gab er dann bekannt, dass der Rahmen ab Anfang 2012 wieder zu haben sein würde.
Dass das Swiss Cross den Nerv so vieler Cross-Fans trifft, liegt zum einen sicher am Aussehen. Die spindeldürren Stahlrohre und der Siebziger-Jahre-Look charakterisierten schon die erste Swiss-Cross-Generation als zeitlos. Ein weiterer Grund ist der Fahrer, der den Rahmen bekannt gemacht hat: Thomas Frischknecht, Schweizer Ausnahme-Mountainbiker, Cross-Weltmeister und einer der profiliertesten Geländeradler aller Zeiten. Ohne Frischknecht hätte es das Swiss Cross nie gegeben. 1994 hatte „Frischi“ bei Ritcheys Mountainbike-Team angeheuert. Weil er im Winter aber weiterhin Crossrennen fuhr, ließ er sich von Meister Tom höchstpersönlich einen Rahmen löten, der, als Hommage an den Fahrer und den Sport, den Namen „Swiss Cross“ erhielt. Mit diesem gelang Frischknecht bei der Cross-WM 1997 im Münchner Olympiapark ein Schelmenstück der besonderen Art. Weil er sich damit auf dem technisch schwierigen Kurs bessere Chancen ausrechnete, trat er zum Amateurrennen mit einem geraden Mountainbike-Lenker an und war so frech, auch noch die Silbermedaille zu gewinnen. Die UCI-Funktionäre schäumten, hatten aber keine Handhabe, da Frischknecht eine Lücke im Reglement genutzt hatte – die daraufhin natürlich umgehend geschlossen wurde.
Berühmt-berüchtigte Gabel

Die Lenklager drehen sich in außen liegenden Schalen. So passt ein 1-1/8-Zoll-Gabelschaft ins zierliche Steuerrohr
Die Serienrahmen der ersten Swiss-Cross-Generation wurde von 1997 bis 2003 in Japan geschweißt. Herausragendes Merkmal war die Stahlgabel mit daumendünnen Scheiden, die für ihren Federkomfort bald ebenso berühmt war wie für ihr Bremsstottern berüchtigt. Doch weil Bremsen für Cross-Rennfahrer kein entscheidendes Kriterium sind, litt der Ruf des Rades kaum unter diesem Manko. Vielmehr prägte sich das Rad als Siegermaschine ein. Denn nicht nur Thomas Frischknecht sammelte damit Erfolge; auch die tschechische Cross-Nationalmannschaft fuhr das Swiss Cross lange unter anderem Markennamen. Wichtigster Unterschied des neuen Swiss Cross zum historischen Vorbild ist nun die Carbongabel. Um die massiven Scheiden mit der filigranen Stahloptik zu versöhnen, wendete Ritchey einen raffinierten Trick an. Er platziert die Lenklager in Schalen, die an die Enden des Steuerrohrs angelötet werden. Damit gelingt nicht nur ein harmonischer Anschluss der Gabel an den Rahmen. Zugleich bleibt im Steuerrohr Platz für einen zeitgemäßen 1-1/8-Zoll-Schaft, ohne dass der Außendurchmesser erhöht werden muss.
Ohne Inflationsaufschlag
Unser Testrad, rot und schlank wie das Vorbild von 1997, wurde vom deutschen Ritchey-Vertrieb Cosmic Sports aufgebaut und käme im Handel auf etwa 5.000 Euro. Dank erlesener Ausstattung mit Laufrädern und Anbauteilen von Ritchey sowie Campagnolos Record-Gruppe, für die es neuerdings eine Cross-Kurbel mit der Abstufung 46/36 Zähne gibt, kommt das Rad auf respektable 8,2 Kilo. Das geringe Gewicht prägt auch den Fahreindruck. Das Rad hängt gut am Gas, wobei die Geometrie mit flachem Lenkwinkel und vergleichsweise langem Radstand eher zum entspannten Cruisen als zur wilden Kurvenjagd animiert. Der größte Unterschied des neuen Swiss Cross zum Vorbild ist die ungleich höhere Lenkpräzision. Die steife Carbongabel neigt deutlich weniger zum Bremsstottern als ihr stählernes Pendant, federt dafür aber auch weniger. Und in noch einem Punkt hat das Swiss Cross 2012 die Nase vorn. Als die erste Serie 2003 eingestellt wurde, lag der Listenpreis für das Rahmen-Set bei 1.179 Euro. Der neue, in Taiwan geschweißte Rahmen kostet 1.099 Euro. Dass ein technisch verbesserter Nachfolger günstiger ist als sein Vorbild – wann hat es das zuletzt gegeben?
Preis Komplettrad ca. 5.000 Euro
Preis Rahmen-Set 1.900 Euro
Gewicht 8,2 Kilo
Bezug/Info www.ritcheylogic.com
Rahmengrößen** 49, 51, 53, 55, 57, 59 cm
Sitz-/Lenkwinkel 73,5/72°
Sitz-/Ober-/Steuerrohr 510/555/150 plus 15 mm Steuersatzkappe
Radstand/Nachlauf 1.020/60 mm
Stack/Reach/STR*** 571/389 mm/1,47
AUSSTATTUNG
Lenklager Ritchey WCS, 1-1/8 Zoll
Bremsen FSA Energy
Schaltung/Tretlager Campagnolo R ecord CX (46/36 Z., BSA)
Laufräder/Reifen Ritchey WCS Zeta/Clement Crusade PDX
Lenker/Vorbau Ritchey WCS EvoCurve/Ritchey WCS
Sattel/-stütze Ritchey WCS Streem/Ritchey WCS
MESSWERTE & EINZELNOTEN
Gewicht Komplettrad (ohne Pedale) 8,2 Kilo
Gewicht Rahmen/Gabel/Steuerlager 1 .989/508/88 g
Normiertes Gewicht Rahmen-Set**** 2.648 g: 3 , 7
Lenkkopfsteifigkeit 70 Nm/°: 4 , 0
Seitensteifigkeit Gabel 43 N/mm: 2 , 7
Tretlagersteifigkeit 50 N/mm: 2 , 7
Komfort Rahmen 213 N/mm: 1 , 7
Komfort Gabel 71 N/mm: 2 , 3
* In die Gesamtnote gehen das Rahmen-Set mit 40 Prozent, die Ausstattung mit 60 Prozent ein. In diese beiden Bewertungen fließen Einzelnoten ein, die wir aus Platzgründen nur zum Teil abdrucken. Die Noten werden bis zur Endnot e mit allen Nachkommastellen gerechnet; zur besseren Übersichtlichkeit geben wir aber alle Not en mit gerundeter Nachkommastelle an.
** Getestete Rahmengröße gefettet.
*** Stack/Reach: projiziertes senkrechtes/waagerechtes Maß von Mitte Tretlager bis Oberkante Steuerkappe; STR (Stack to Reach): Werte zwischen 1,45 und 1 ,55 bedeuten eine sportliche Sitzposition, Werte darunter rennmäßig, darüber komfortabel.
**** Bereinigtes Gewicht für Rahmengröße 57 cm und Gabelschaftlänge 225 mm.
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