Magdeleine VallièresDie neue Straßenrad-Weltmeisterin im großen TOUR-Interview

TOUR Redaktion

 · 09.12.2025

Magdeleine Vallières: Die neue Straßenrad-Weltmeisterin im großen TOUR-InterviewFoto: Getty Images
Sie hat gut lachen: Magdeleine Vallières gelang in Ruanda ein Überraschungssieg im WM-Rennen der Frauen
TOUR: Nach Ihrem Coup bei den Weltmeisterschaften in Ruanda Ende September herrschte in Ihrer kanadischen Box fassungsloses Erstaunen. Auch sie schienen völlig verblüfft darüber, dass Sie es als Erste ins Ziel geschafft hatten. Haben Sie inzwischen verstanden, dass Sie Weltmeisterin sind?

Die Kanadierin Magdeleine Vallières gewann in Ruanda ebenso überraschend wie überzeugend die Weltmeisterschaft im Straßenrennen. Im Interview erzählt sie, wie es sich anfühlt, im Regenbogentrikot Rennen zu fahren – und mit welcher Perspektive sie auf die Rad-WM 2026 in Kanada blickt

Interview: Stephan Klemm

Magdeleine Vallières: Ich bin, ehrlich gesagt, immer noch geschockt. Mir ist da etwas wirklich Besonderes gelungen. Dass ich tatsächlich Weltmeisterin bin, habe ich in den beiden Rennen, die ich nach den Titelkämpfen absolviert habe, erstmals so richtig realisiert. Denn ich trug beim Giro dell’Emilia und bei Tre Valle Varesine das Trikot mit den Regenbogenfarben. Da war mir klar: Ich bin nun Weltmeisterin und werde auch als solche von meinen Kolleginnen betrachtet.

Hätten Sie selbst daran geglaubt, sich auf dem extrem schweren Kurs von Ruanda durchsetzen zu können?

Magdeleine Vallières: Eher nicht. Allerdings wusste ich, dass ich in der Form meines Lebens war. Ich spürte, dass es sich auszahlen könnte, wenn ich im Rennen etwas riskieren würde. Aber mein Ziel war eine Top-Ten-Platzierung. Der Sieg war für mich eine ferne Illusion. Ich bin vor allem meinen Teamkolleginnen dankbar. Sie waren sehr aufmerksam und haben mich in der richtigen Gruppe abgesetzt.

Magdeleine Vallières wird nach dem Rennen in Kigali von ihrer Nationalmannschaftskollegin Alison Jackson als neue  Weltmeisterin in Empfang genommenFoto: Getty ImagesMagdeleine Vallières wird nach dem Rennen in Kigali von ihrer Nationalmannschaftskollegin Alison Jackson als neue Weltmeisterin in Empfang genommen

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Wie haben Sie sich in dieser Gruppe verhalten?

Magdeleine Vallières: Ich bin zunächst geduldig geblieben und habe in der ersten Rennhälfte so viel Energie wie nötig gespart. Drei Runden vor Schluss habe ich begonnen, genauer zu beobachten, wer Attacken vorbereitet. Schließlich hatte sich die entscheidende Gruppe mit zehn Fahrerinnen gebildet, und ich habe es hinein geschafft. Irgendwann aber haben nicht mehr alle Ausreißerinnen mitgearbeitet. Ich habe sie ermutigt, weiterzumachen, weil ich spürte, dass wir eine Chance haben. Das Ziel rückte näher, die Entscheidung nahte – und da habe ich wirklich alles gegeben, so dass wir nach einem Antritt von mir nur noch zu dritt waren, Niamh Fisher-Black, Mavi Garcia und ich. Mir gelang es dann, die beiden im Schlussanstieg stehen zu lassen. Ich hatte einen Satz meines Trainers im Ohr: „Fahre so, dass du hinterher nichts bereuen musst.“

Wie gefällt Ihnen dieser Artikel?

Wie haben Sie die Titelkämpfe in Ruanda wahrgenommen?

Magdeleine Vallières: Ich war überwältigt von dem Empfang, der uns in Ruanda bereitet wurde. Und während des Rennens herrschte eine außergewöhnliche Atmosphäre mit unglaublich vielen Zuschauern, viele von ihnen tanzten vor Vergnügen zur lauten Musik am Straßenrand. Sie haben eigentlich die ganze Zeit während des Rennens getanzt. Das war phänomenal.



Meilenstein des kanadischen Radsports

Die in Quebec erscheinende Zeitung „La Presse“ schrieb nach Ihrem Erfolg, Ihnen sei eine der größten Überraschungen des Sports in Quebec aller Zeiten und aller Disziplinen gelungen. Sehen Sie das auch so?

Magdeleine Vallières: Es ist das erste Mal, dass eine Kanadierin einen WM-Titel erobert hat. Einem Kanadier ist das noch nicht gelungen. Insofern handelt es sich bei meinem WM-Sieg tatsächlich um einen Meilenstein in der Geschichte des kanadischen Radsports. Deshalb ist die Einschätzung der Zeitung schon richtig.

Ungewohnt: Beim Giro dell'Emilia Internazionale präsentiert sich Magdeleine Vallières erstmals im Regenbogentrikot der WeltmeisterinFoto: Getty ImagesUngewohnt: Beim Giro dell'Emilia Internazionale präsentiert sich Magdeleine Vallières erstmals im Regenbogentrikot der Weltmeisterin

Den Giro dell’Emilia und das Rennen Tre Valle Varesine beendeten Sie kurz nach der WM auf den Rängen sieben und zehn, das sind Top-Platzierungen. Haben Sie während der Rennen gespürt, dass Sie auf einmal einen anderen Status im Peloton besitzen?

Magdeleine Vallières: Auf jeden Fall. Das beginnt mit der Präsentation auf der Einschreib-Bühne und geht im Rennen weiter – da fühlte es sich so an, als seien alle Augen auf mich gerichtet. Ich bin ja mit meinem Regenbogentrikot auch eine der auffälligsten Fahrerinnen. Das war schon ein Sprung und schwer zu verstehen für mich, weil ich in meinem Team EF Education-Oatly für gewöhnlich eine Helferin bin – vor allem für die Französin Cédrine Kerbaol. Ich spürte nach der WM bei den Starts in Italien aber schon, dass sich meine Rolle im Team und in den Rennen verändert hat. Dafür sprechen auch meine Platzierungen. Ich bin sehr gespannt, wie meine Karriere weitergeht.

Wie hat Ihre Karriere denn einst begonnen?

Magdeleine Vallières: Ich habe das Radfahren dank meines Vaters begonnen. Ich war neun Jahre alt, als wir eine Radtour unternommen haben, deren Ziel 1.000 Kilometer entfernt lag. Ich hatte nur kleines Gepäck dabei, mein Vater hatte den Rest auf sein Rad geladen und dann sind wir losgefahren. Es war krass und hat mich gepackt. Seitdem habe ich mich für das Radfahren begeistert. Ich fuhr zunächst Mountainbike, dann Cyclo-Cross-Rennen, ein wenig BMX und schließlich wechselte ich als Fahrerin auf die Straße. Das war am Ende meiner Schulzeit. Vor meinem Engagement bei meinem jetzigen Team fuhr ich von 2020 bis 2021 auch für die Mannschaft WCC des World Cycling Centre, das seinen Sitz in Aigle in der Schweiz in den Gebäuden des Weltverbandes UCI hat.

Ist Radsport in Kanada eine beliebte Disziplin?

Magdeleine Vallières: Nicht wirklich. Aber die Anzahl derer, die sich dafür interessieren, wächst stetig. Radsport ist in Kanada ein kleiner Sport, nicht vergleichbar mit dem Stellenwert, den er in Europa besitzt. Es ist in Kanada zudem sehr schwer, diesen Sport das ganze Jahr über auszuüben, weil die Winter nach wie vor hart und schneereich sind. Ich hoffe aber dennoch sehr, dass mein WM-Sieg mehr Menschen in Kanada dazu ermutigen wird, an sich zu glauben, zu spüren, was auch in diesem Land in Bezug auf den Radsport möglich ist. Ich selbst wohne bereits seit sechs Jahren in Europa. Einer meiner Stützpunkte hier ist Andorra. Alle meine Freundinnen sind hier, wir haben eine tolle Trainingsgruppe beisammen. In Kanada bin ich wahrscheinlich erst wieder im kommenden Juni für die nationalen Meisterschaften.

Magdeleine Vallières im Trikot ihres  Teams EF Education-Oatly in einer Ausreißergruppe während der 8. Etappe der Tour de France Femmes 2025Foto: Getty ImagesMagdeleine Vallières im Trikot ihres Teams EF Education-Oatly in einer Ausreißergruppe während der 8. Etappe der Tour de France Femmes 2025

Im kommenden Jahr wird Kanada Ende September für eine Woche im Mittelpunkt der Radsport-Welt stehen. Der Radsport-Weltverband UCI hat die Weltmeisterschaften nach Montréal vergeben, wo sie zuletzt 1974 stattfanden. Was erwarten Sie von diesen Titelkämpfen?

Magdeleine Vallières: Ich stamme aus Sherbrooke, das liegt im Süden von Quebec und ist nur zwei Autostunden von Montreal entfernt. Für mich ist es also in doppelter Hinsicht eine Heim-WM. Ich hoffe, dass diese WM einen Impuls für den Radsport in Kanada setzen wird. Ich werde mich als Botschafterin für diese WM einsetzen. Ich gehe davon aus, dass es ein großes Radsport-Fest mit vielen Zuschauern werden wird. Für die Nachwuchssportler aus Kanada wird die WM eine riesige Sache werden, sie können aus der Nähe beobachten und studieren, wie professioneller Radsport funktioniert. Montreal ist auf jeden Fall sehr gut vorbereitet und bestens in der Lage, diese WM auszurichten. Außerdem wird die Landschaft großartig sein, während der WM beginnt ja der Indian Summer.

Neben Ihnen stieß zuletzt auch Ihre Landsfrau Isabella Holmgren in die Weltspitze vor. Sie gewann die Tour de l’Avenir. Was wird von ihr zu erwarten sein?

Magdeleine Vallières: Sie gehört zu den Besten der Welt, das ist sehr schön zu sehen und ermutigt auch mich. Sie ist eine großartige Bergfahrerin.

Enge Zusammenarbeit mit Ernährungswissenschaftlern

Isabelle Holmgren sieht sehr schlank aus. Es gab zu diesem Thema eine Debatte um die Tour-Siegerin Pauline Ferrand-Prévot, die für ihren Tour-Start ihr Gewicht sichtbar reduziert hat. Ist dieser Schritt notwendig, um mithalten zu können?

Magdeleine Vallières: Das Gewicht spielt schon eine Rolle. Ich arbeite intensiv mit den Ernährungswissenschaftlern meines Teams zusammen. Dadurch wird meiner Meinung nach sichergestellt, dass ich mich gesund ernähre und ein gesundes Gewicht habe. Auch auf diese Weise sind Top-Leistungen zu erbringen, dafür stehe letztlich ja auch ich mit meinem WM-Sieg.

Ziele Saison 2026

Die Tour de France des Sommers 2025 beendeten Sie auf dem 18. Platz der Gesamtwertung. Werden Sie dort 2026 für sich fahren können, als Kapitänin Ihres Teams?

Magdeleine Vallières: Zunächst einmal bin ich mir ziemlich sicher, dass ich bei der Tour dabei sein werde, wenn ich verletzungsfrei sein sollte. Unser Team wird dort mit großen Zielen starten. Die Tour ist auch für uns Frauen das größte Radrennen der Saison. Eine Führungsrolle hatte ich allerdings noch nicht bei einer Rundfahrt inne. Ich muss noch sehr viel arbeiten, um in eine solche Rolle hineinzuwachsen. 2025 wurde ich als Helferin für Cédrine Kerbaol eingesetzt. Ich bin nie für mich selbst gefahren, deshalb ist der 18. Platz in der Gesamtwertung kein relevantes Ergebnis.

Welche Ziele haben Sie sich grundsätzlich für die Zukunft gesetzt?

Magdeleine Vallières: Meine Lieblingsrennen sind die Ardennenklassiker im Frühjahr. Sie sind auch mein vorrangiges Ziel für 2026. Ich wurde im April 2024 schon mal 14. beim Flèche Wallonne. Mein Traum ist es, eines Tages eines oder gerne auch mehrere dieser Rennen zu gewinnen. Sollte ich dort performen können, werde ich gewiss auch mal eine große Rundfahrt als Ziel ausrufen.

Zur Person Magdeleine Vallières

Magdeleine Vallières, geboren am 10. August 2001 im kanadischen Sherbrooke, das in der Provinz Quebec liegt, ist seit 2022 Profi und fahrt seitdem für das Team, das derzeit Education-Oatly heißt. 2019 gewann sie den Titel der kanadischen Junioren-Meisterin auf der Straße und im Einzelzeitfahren. Im Januar 2024 gewann sie die Trofeo Palma Femina und im September 2025 den Titel der Straßen-Weltmeisterin.

Meistgelesen in der Rubrik Fahrer alt