Unbekannt
· 28.04.2010
Vor rund 30 Jahren lockte Max Hürzeler erste Hobby-Radsportler nach Mallorca – und inszenierte damit eine bis heute andauernde Erfolgsgeschichte. Während Tausende Radler zum diesjährigen Ansturm auf Mallorca rüsteten, hat TOUR den Gründer des Radsport-Booms zwei Tage auf der Insel begleitet.
Bekannt wie ein bunter Hund: In den Monaten Februar bis Mai, wenn Mallorca fest in der Hand trainingsfleißiger Radsportler ist, trifft diese Bezeichnung nicht auf irgendwelche singenden Schlagerkönige zu, sondern auf Max Hürzeler – den Mann, der den Rennradtourismus auf der größten der drei Baleareninseln nicht erfunden, aber doch neben dem klassischen Badeurlaub zum stärksten touristischen Wirtschaftsfaktor gemacht hat. In der Saison 2009 meldeten die Balearen 85.000 Radtouristen, allein 27.000 davon waren zu Gast bei Bicycle Holidays Max Hürzeler.
Dass inzwischen wohl jeder zweite Rennradler aus Deutschland, der Schweiz und Österreich wenigstens einmal auf “Malle” war, hat Folgen, auch für Max Hürzeler. Als wir uns im Hotel des Club Pollentia treffen, ist an ein Gespräch erst mal nicht zu denken. Von allen Seiten stürmen Gäste auf Hürzeler zu; die einen meckern über das schlechte Wetter, andere schlagen ihm eine Verbesserung für die Ausstattung des Fitnessraums vor. Profis, die im Hotel logieren – die Mallorca-Rundfahrt läuft gerade – fachsimpeln mit ihm über ihre Saisonplanung. Später machen wir uns auf den Weg zu Hürzelers Haus an der Playa de Muro und passieren die Hürzeler-Stützpunkte Alcudia Nord und Alcudia Süd; Radsportler surren um die Hotels wie Bienen um den Bienenkorb. Kurz darauf rauscht das Feld der Mallorca Challenge vor über; aus dem Pulk der Rennfahrer grüßt Columbia-Profi Michael Albasini lautstark seinen Landsmann am Straßenrand, aus den Fenstern der Begleitfahrzeuge recken sich lässig grüßend die Hände. Der bunte Hund winkt zurück.
Eine verrückte Idee
Es war ein langer Weg bis zu dieser Anerkennung. Anfang der 80er Jahre war Hürzeler erst einmal aufgelaufen mit seinen Ideen. Zum Rennradfahren in den Süden fliegen? ‚Was für eine verrückte Idee‘, dachte sich der Inhaber eines Schweizer Reisebüros, als der selbstbewusste Bahnradprofi Hürzeler ihm vorschlug, gemeinsam Reisen für Rennradfahrer nach Mallorca anzubieten. Tausend Leute jährlich sollten Radferien auf der Insel verbringen? Was für eine absurd hohe Zahl. Lächelnd schickte er Max Hürzeler nach Hause und verpasste damit wohl das Geschäft seines Lebens.
Dieser weiß seinen Erfolg inzwischen längst einzuordnen. “Ich habe den Rennradtourismus auf Mallorca nicht erfunden, ich habe ihn nur besser gemacht”, sagt Hürzeler. Vor 30 Jahren war es nur ein ausgewählter Kreis, der zum Radtraining auf die spanische Insel flog: Ein paar Straßenradprofis, Bahnfahrer und deren Sponsoren leisteten sich das Vergnügen. Als Bahnradprofi war Hürzeler 1981 erstmals zum Rennradfahren auf Mallorca. Ohne Karte radelte er bei Regen von Playa de Palma Richtung Porto Cristo. Kaum Verkehrsschilder, schlechte Straßen – es war keine Liebe auf den ersten Blick. Doch nachdem er sich das zwei, drei Jahre lang angesehen hatte, fing er an, sich Gedanken darüber zu machen, solche Trainingsreisen professionell zu organisieren. Zusammen mit seinem Schrittmacher Ueli Luginbühl, dem fünfmaligen Querfeldein-Weltmeister Albert Zweifel, Hansruedi Keller, Gusti Zollinger und anderen Radsportkollegen bot er 1985 zum ersten Mal Radsporttraining auf Mallorca an. Nur wenige Wochen machten sie im Hotel Delta Station und wollten in erster Linie ihr eigenes Training finanzieren. 185 Gäste trugen dazu im ersten Jahr bei, im nächsten schon 450 und im vierten Jahr bereits 1.400 Radsportler. Spätestens da blieb dann wohl Geld übrig.
Ein Grund für das schnelle Wachstum: Ein durchdachtes Angebot von Werkstatt über Radkeller bis zum Büffet. “Ohne gutes Essen geht gar nichts”, sagt Hürzeler mit ernster Miene. Am Vormittag hatte sich ein Gast über Dosen-Ananas beim Frühstücksbüffet im Hotel Pueblo Park beschwert – Hürzeler hat schon so manches Hotel wegen der Küche aus dem Katalog geworfen. Wenn die derzeit 16 Vertragshotels im März richtig voll sind – allein das Playa de Mur hat 1.000 Betten – ist das eine riesige Herausforderung und Voraussetzung zugleich für den Geschäftserfolg. Vor allem beim Essen ist Hürzeler auf die Kooperation der Hotelchefs angewiesen, während er in den Hotelboutiquen, die sein Radsportsortiment verkaufen, selbst das Sagen hat. Und was er im Shop des Playa de Mur sieht, gefällt ihm: In dem engen Raum drängen sich die Kauflustigen und durchforsten das komplette Bekleidungssortiment für Radsportler. Das Geschäft läuft gut – seit Jahren.
Eine Nase fürs Geschäft hat Max Hürzeler zweifellos. Und dass er von seinem Salär als Bahnradsportler nicht lange würde leben können, war dem Steher-Spezialisten früh klar – schon bevor er die Idee mit den Radsportreisen hatte. So reiste er 1981 nach der Steher-WM der Amateure, bei der er Dritter geworden war, nach Thailand, um 1.000 T-Shirts für den Verkauf an Fans zu produzieren. Er sprach kein Englisch und verstand nichts von Textilproduktion. Doch nach einer Woche hatte er einen Lieferanten gefunden, und der Verkauf wurde ein Erfolg. Keine Frage, woher auch die Klamotten stammten, mit denen Hürzeler seit Mitte der 80erJahre die Radboutiquen der Hotels füllte.
Nostalgie im Hotel Delta
Vor allem das Hotel Delta wurde zum Inbegriff des Frühjahrstrainings auf Mallorca. Radprofis wie Miguel Induraín, Pedro Delgado, später auch Erik Zabel, Udo Bölts, Jan Ullrich, Olaf Ludwig und Rolf Aldag wurden zu Stammgästen – was wiederum Legionen von Hobbysportlern magisch anzog. “Wir kleinen Radfahrer haben hier die großen Stars gesehen”, erzählt Jürgen Hirte aus Bad Krotzingen. Mit den Leuten vom Team Telekom an einem Tisch zu sitzen und zu plaudern – das kam gut an.
Inzwischen ist das Delta, wie manch anderes aus dieser Epoche, Geschichte. Jürgen Hirte, Hürzeler-Stammgast seit 15 Jahren, verbindet mit dem Delta auch nur noch nostalgische Erinnerungen. Als wir dem Hotel der ersten Stunde einen Besuch abstatten, wird auch Hürzeler ein wenig sentimental. Verfallene Tennisplätze und eine verwitterte, graue Fassade stehen in starkem Kontrast zu den modernen Fassaden in Playa de Palma oder Alcudia. Albert Zweifel, Freund und Mitstreiter der ersten Stunde, freut sich über unseren Besuch. Er betreut immer noch die kleine Radstation im Delta, doch die Fotos vom Team Telekom an den Wänden verlieren langsam an Farbe. Das Delta wirkt wie vergessen, stehen geblieben im Vergleich zu den modernen Hotels im nahen Arenal.
Hürzeler selbst hat sich immer weiterbewegt und auch Brüche in Kauf genommen. 1987, nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft als Steher, war er auf dem Höhepunkt seiner Radsportkarriere. Der Sponsor lockte mit dem bestdotierten Vertrag seiner Karriere, doch Hürzeler lehnte ab, trat zurück und setzte alles auf die Karte Radtourismus. “Du sitzt auf Mallorca und machst Ferien”, warf ihm ein langjähriger Sponsor vor, doch Hürzeler ließ sich nicht beirren. Ohne wirtschaftliche Ausbildung, ohne Fremdsprachenkenntnisse und Kredite baute der gelernte Maschinenzeichner in wenigen Jahren ein kleines Imperium auf. Wenn er heute im Playa de Muro im Vorbeigehen einen prüfenden Blick auf die Übersichtstafeln mit den Tourenvorschlägen, GuideSteckbriefen und CampInfos wirft, dokumentiert das den Standard in allen von Hürzeler angebotenen Hotels. Richtlinie in allen HürzelerGruppen: Es wird gemeinsam losgefahren, und natürlich kommt man gemeinsam wieder zurück.
Das war nicht immer so. Pedro Willy, Hürzeler-Gast der ersten Stunde aus der Schweiz, erinnert sich an die Anfangszeit. Der guten Organisation stand ein rauer Umgangston gegenüber, geprägt vom harten Rennfahrergeist. Gesittete Ausfahrten im Grundlagentempo? Fehlanzeige. Stattdessen Ausscheidungsrennen zum Puig Major. Hatte ein Gruppenteilnehmer eine Reifenpanne, wurde er mit Flickzeug am Straßenrand zurückgelassen. Und wenn ein Gast zu sehr nervte, zückte Hürzeler schon mal die Brieftasche, zahlte dem Störenfried sein Geld zurück und setzte ihn vor die Tür. Auch Hürzelers Sprüche fand nicht jeder lustig. Wenn er bei der morgendlichen Besprechung von der “Gruppe Jammer und Elend” sprach, erntete er böse Blicke. “Ich war manchmal schon ein Arsch”, meint Hürzeler heute selbstkritisch.
Dennoch sind Menschenkenntnis und die Fähigkeit, sich auf sein Gegenüber einzustellen, bis heute sein größtes Kapital. “Er führt nicht mit Zahlen, sondern geht unglaublich stark nach Vertrauen”, meint sein langjähriger Geschäftspartner Walter Güntensberger. “Das kommt vom Radsport: Man braucht zwar Wasserträger, aber die Grundlage bildet die Kollegialität.” Dabei ist Hürzeler ein Mann des gesprochenen Wortes, Schriftverkehr hasst er “wie die Sau”. Es gilt die mündliche Vereinbarung, Entscheidungen trifft er schnell und nach Gefühl.
Einstige Mitarbeiter als Konkurrenz
Stets umgab er sich mit Leuten, denen er vertrauen konnte – aber man darf auch vermuten, dass im Reich des Königs von Mallorca nur wenig Platz für Kronprinzen ist. Viele seiner ehemaligen Mitarbeiter haben sich im selben Business selbstständig gemacht: Gusti Zollinger veranstaltet Radsportreisen und Fernfahrten, Philipp Egli ist heute der Kopf von Philipp’s Bike Team, ExMitarbeiter Markus Hess hat Easy Tours gegründet, und Freund und Radkollege Fred Rompelberg ist groß im Radreisegeschäft. Allesamt haben sie bei Max Hürzeler gearbeitet, gelernt und viel abgeschaut. “Ich kopiere immer Max, er ist der Trendsetter”, gibt Fred Rompelberg ganz offen zu. “Für mich ist Max der Kaiser von Mallorca, und ich habe großen Respekt vor ihm.”
Was kaum jemand weiß: Die Insel lebt für mehrere Monate im Jahr vom Radsportboom, nur Max Hürzeler selbst ist gar nicht mehr im Geschäft. Der jahrelange Dauerstress und das unglaubliche Wachstum wurden irgendwann zuviel – vielleicht auch, weil der Perfektionist alles selber machen oder überwachen wollte. Auch deshalb hat er Ende 2005 das Unternehmen an Walter Güntensberger verkauft. Die Firma trägt zwar weiterhin seinen Namen, doch Hürzeler ist dort heute nur noch Angestellter. Zumindest auf dem Papier – denn auch als wir uns von ihm verabschieden, kommen ständig Gäste zu ihm und berichten von ihren Erlebnissen, reichen ihm Mitarbeiter die Hand, klingeln Hotelmanager auf seinem Handy an. “Max wird auch noch in zwanzig Jahren von unserem Katalog lächeln”, meint Güntensberger.
ZUR PERSON:
Max Hürzeler wurde 1954 in Zurzach im Schweizer Kanton Aargau geboren. Gegen den Willen des Vaters begann er als Kind mit dem Radsport und wurde zu einem der erfolgreichsten Schweizer Bahnradsportler.
Seine größten Erfolge: Goldmedaillen bei der SteherEuropameisterschaft 1983, 1986 und 1987 sowie Gold bei der SteherWeltmeisterschaft 1987. Anschließend beendete er seine Karriere.
Auch außerhalb der Schweiz ist er als Gründer von Bicycle Holidays Max Hürzeler bekannt. Er ist Mitveranstalter des Züricher Sechstagerennens und lebt den größten Teil des Jahres auf Mallorca.