Unbekannt
· 04.12.2006
Normann Stadlers größte Gegner der vergangenen Jahre waren er selbst und seine Nerven. Mit seinem zweiten Sieg beim Hawaii Ironman hat er bewiesen, dass seine sensiblen Reizleitungen nun ebenso leistungsfähig sind wie seine Physis.
Ein Geschlagener sieht anders aus. Faris Al-Sultan streckte triumphierend die Fahne seines bayerischen Heimatlandes in die Luft und entließ einen Freudenschrei in den Tropenhimmel, während er acht Minuten nach Normann Stadler, seinem Nachfolger als Champion von Hawaii, über die Ziellinie am Pier von Kailua Kona trabte. Dann fiel er seinem Konkurrenten in die Arme, und die beiden zelebrierten ihren ersten und dritten Platz bei der Triathlon-Langstrecken-Weltmeisterschaft wie einen deutschen Doppelerfolg. „Absolut superzufrieden“, sei er, betonte Al-Sultan anschließend in den Interviews immer wieder. Einmal zu gewinnen sei eine Sache, fügte er an. „Aber sich in der Weltspitze zu behaupten, ist eine andere. Und darum geht es.“
Seinen Status als einer der weltbesten Ausdauerdreikämpfer hat Al-Sultan mit seinem Rennen in Hawaii deutlich untermauert. Und einen zweiten Sieg in Folge zu erwarten, das wusste er, wäre vermessen gewesen. 2001 und 2002 war dieses Double zuletzt zwar dem Amerikaner Tim DeBoom gelungen, aber schon viele Stars der Szene haben sich daran die Zähne ausgebissen. Luc Van Lierde etwa oder Peter Reid. Und natürlich Normann Stadler.
Für ein Rennen, wie es Al-Sultan in diesem Jahr abgeliefert hat, wäre Normann Stadler vor Jahresfrist, ein Jahr nach seinem ersten Hawaii-Erfolg, mehr als dankbar gewesen. Stattdessen musste er eine zweijährige Durststrecke durchstehen. Seit Oktober 2004 gab es außer dem Sieg beim Ironman Frankfurt 2005 für Stadler 24 Monate lang nur Pleiten, Pech und Pannen, und es schien längst nicht sicher, dass diese Phase rechtzeitig vor dem diesjährigen Ironman auf Hawaii beendet sein würde.
Normann Stadler freute sich derweil nach seinem Rennen auf den Rummel, der in Deutschland auf ihn wartete; auch, wenn die vielen Termine womöglich seine Vorbereitung auf die nächste Saison stören werden. Das kann Stadler jetzt verschmerzen, er kann entspannt in die Zukunft schauen: „Ich gehöre jetzt zu den Großen dieses Sports“, sagt er stolz. Alles, was jetzt noch kommt, ist Zugabe."
Michellie Jones: Die neue Queen
Wenn eine 36-Jährige eine 40-Jährige als Siegerin ablöst, fällt es schwer, von einem Generationenwechsel zu sprechen. Dennoch wurde der Sieg von Michellie Jones beim Hawaii-Ironman als Beginn einer neuen Ära gewertet, nachdem die Schweizerin Natasha Badman das Rennen acht Jahre lang beherrscht hatte. Ganz so absurd sind die Prophezeiungen einer anbrechenden Jones-Epoche trotz des Alters der Australierin nicht. Denn obwohl sie schon seit 15 Jahren Triathlon auf höchstem Niveau betreibt, ist ihre Vita als Eisenfrau kurz. Der Hawaii-Ironman in diesem Jahr war erst der vierte Langstrecken-Triathlon ihres Lebens. Aber drei davon hat sie gewonnen. Eigentlich hatte sich die mehrfache Kurz distanz- Weltmeisterin und Olympia-Zweite geschworen, niemals auf die Ironman-Distanz zu wechseln. Dass sie ihren Schwur brach, hat der australische Triathlonverband zu verantworten, der sie 2004 nicht mit nach Athen genommen hatte. Die Spiele sollten eigentlich der Abschluss ihrer Laufbahn werden. Mit der Enttäuschung der Nicht-Nominierung im Bauch wollte Jones aber nicht abtreten. Der Start in ihre zweite Karriere geriet zunächst ebenso holprig wie das Ende der ersten. Nachdem sie auf Anhieb ihren ersten Ironman in Florida gewonnen hatte, brach sie sich im Frühjahr 2005 bei einem Trainingsunfall die Hüfte. Entsprechend litt die Vorbereitung auf ihren ersten Hawaii-Start. Dennoch hielt sie lange die Führung, und wurde letztlich nur von Natasha Badman niedergerungen. In diesem Jahr wurde Badman jedoch von Magenproblemen geplagt und landete abgeschlagen auf Rang zehn. Dass sie ohne Beschwer den Jones noch überholt hätte, ist dennoch zweifelhaft. „Seit Michellie im vergangenen Jahr die Ziellinie überquert hat, hat sie jede Minute an dieses Rennen gedacht und dafür gearbeitet“, sagt Paula Newby-Fraser, erfolgreichste Ironman- Athletin aller Zeiten und Jones’ Trainerin. Ihr Rennen war entsprechend souverän und makellos – so wie bislang die Auftritte von Natasha Badman. Vermutlich war dies also nicht der letzte Hawaii-Sieg von Michellie Jones. Selbst wenn, darf man sie getrost schon jetzt als die vielleicht größte Triathletin aller Zeiten bezeichnen. 14 Jahre lang dominierte sie die Kurzdistanz. Jetzt schickt sie sich an, die Langdistanz auf unbestimmte Zeit zu beherrschen. Das ist in etwa so, als würde Erik Zabel plötzlich die Tour de France gewinnen. Und dabei das Gelbe Trikot komplett vom Prolog bis nach Paris tragen.