Ina-Yoko Teutenberg

Unbekannt

 · 20.09.2009

Ina-Yoko TeutenbergFoto: Boris Breuer c/o FAVoriteRED

Sie ist die Seriensiegerin unter den weltbesten Radsportlerinnen: Ina-Yoko Teutenberg, seit wenigen Wochen Deutsche Straßenmeisterin, liebt ihre Doppelrolle als Top-Sprinterin und mannschaftsdienliche Helferin – auch bei der 2009 bevorstehenden WM in der Schweiz.

Die Fäuste schnellen in die Höhe, der Mund ist zum Triumphschrei weit aufgerissen. Als Erste überquert Ina-Yoko Teutenberg bei der Deutschen Straßenmeisterschaft am 28. Juni 2009 in Cottbus die Ziellinie. Auf den zurückliegenden 136, aggressiv umkämpften Kilometern hat sie gemeinsam mit ihren beiden Kolleginnen vom Team Columbia-HTC einen harten Kampf gegen die numerisch weit überlegene Konkurrenz der Equipe Nürnberger geführt. Anderthalb Kilometer vor dem Ziel meldet sich Mitstreiterin Judith Arndt per Funk: “Du musst es machen.” Noch einmal versucht Rivalin Trixi Worrack vom Team Nürnberger die Attacke, doch Teutenberg bleibt dran. Als es im Sprint auf die Ziellinie zugeht, ist die sprintstärkste Deutsche nicht zu schlagen. Mit 34 Jahren feiert sie ihren ersten Deutschen Meistertitel. Endlich. Schon 1993 war sie Zweite, 1995 und 2006 Dritte. “Es ist der Hammer”, sagt Teutenberg, “vor allem, weil unsere Taktik bei minimalen Chancen voll aufgegangen ist.” Das mag sie: perfektes Teamwork.

Ina-Yoko Teutenberg ist die Seriensiegerin unter Deutschlands weiblichen Radprofis. Ihre Team-Partnerin Judith Arndt preist die großen Qualitäten der Kollegin: “Erfahrung, Taktikverständnis, Angriffslust und Sprintschnelligkeit.” Ende Oktober 2009 wird die gebürtige Düsseldorferin 35. Doch Teutenberg ist noch immer hungrig, Niederlagen stacheln sie an wie eh und je: “Selbst wenn man gewinnt, wird es nicht langweilig”, sagt sie, “ich stecke mir neue Ziele, die ich dann unbedingt erreichen möchte.” Von nichts kommt nichts – und ihr Palmarès ist lang: Junioren-Weltmeisterin im Punktefahren auf der Bahn 1990 und 1992, Junioren-Weltmeisterin auf der Straße 1990, zahlreiche Etappensiege bei den wichtigsten Rundfahrten wie der Tour de l’Aude, der Thüringen-Rundfahrt, dem Giro d’Italia der Frauen sowie richtig große Siege wie beim wichtigsten amerikanischen Eintages rennen in Philadelphia oder bei den Weltcuprennen Flandern-Rundfahrt und Rotterdam-Tour.

Dass Ina-Yoko Teutenberg der Erfolg nicht zu Kopf gestiegen ist, erlebt der Besucher in ihrer schlichten Wohnung im Hochparterre in einem unscheinbaren Ortsteil im rheinischen Mettmann. Die Radsportlerin sitzt ganz leger gekleidet an einem schlichten Holztisch; in einer Ecke des kaum dekorierten Wohnzimmers steht ein kleiner Röhrenfernseher, auf der anderen Seite ein Sofa mit einer Hundedecke für Sophie, die drei Jahre alte Australian-Cattle-Hündin. Auf dem Tisch sprudelt Wasser in großen Gläsern, und die Sprinterin gibt geduldig Auskunft über ihr Leben und ihre Karriere. Ihre linke Hand liegt auf dem Tisch, um das Handgelenk ist ein Spruch tätowiert: “Those who lose dreaming are lost.” Wer es verlernt, zu träumen, ist verloren. Es ist eine Redensart der australischen Ureinwohner.

Teutenbergs Heim im Rheinland ist ein Provisorium. Zwischen Oktober und April zieht es die Frau mit den kurzen, hellbraunen Haaren ins kalifornische San Luis Obispo, wo sie in der milden Pazifikluft trainiert und entspannt. Auch Hündin Sophie – in Amerika geboren – reist immer mit. Wenn Teutenberg sich zwischen den Rennen entspannt, dann tut sie es dort, wo sie ihre Kindheit verbrachte. Ihr Vater, durch den sie den Radsport kennenlernte, ist Sozialarbeiter und trainiert in Kaarst und am Landesstützpunkt Nordrhein-Westfalen den Nachwuchs. Mit ihrer Mutter und deren Hunden geht Ina-Yoko gerne Gassi und plauscht beim Kaffee; den Fahrradladen ihres Bruders Sven im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel besucht sie, wenn sie auf ihren Trainingsrunden den Rhein entlang fährt. Die Teutenbergs sind eine wahre Radsport-Familie. Der Vater hatte den Sport angefangen, um etwas für seine Kondition zu tun – und seine Kinder früh damit angesteckt. Und was die älteren Brüder vormachten, wollte die kleine Schwester nachmachen. So sind alle drei Teutenberg-Kinder Radprofis geworden: Sven, heute 37, fuhr gemeinsam mit Lance Armstrong für die US Postal-Mannschaft und mit Jan Ullrich bei Coast, und Lars, 38, war noch 2007 Zweiter der Deutschen Zeitfahrmeisterschaften. Doch das heißt nicht, dass sich bei Teutenbergs alles nur um Training und Taktik dreht – bei Familientreffen, sagt das jüngste der drei Geschwister, spreche man eher über anderes.

Der ältere Bruder Sven umschreibt charmant, dass er nicht ständig auf den aktuellen Star der Familie schauen kann: “Bei der Frequenz, mit der Ina Siege einfährt, fällt es mir schwer, das alles mitzubekommen.” Das Jahr 2009 hat die Athletin noch einmal selbst gewaltig überrascht: “Ich hätte nicht erwartet, dass ich noch mal mehr als 20 Siege einfahren würde.” Das gelang ihr aber bereits bis Anfang Juli. Vielleicht läuft es gerade deshalb so gut, sagt Teutenberg, weil sie seit Saisonstart “ziemlich locker” gewesen sei. Überhaupt nicht mit sich selbst gerechnet hatte sie bei der Flandern-Rundfahrt, wo sie statt der verletzten Judith Arndt den Erfolg suchte. Normalerweise, sagt sie, sei dieses Rennen, das im Finale über die gleiche Strecke wie das der Männer führt, oben an der Mauer von Geraardsbergen, am Ende der gepflasterten 20-Prozent-Rampe, für sie gelaufen. Doch diesmal kam sie als Fünfte oben an – “da war der Sieg plötzlich greifbar”. Sie profitierte von der Nachführarbeit des Konkurrenzteams Cervélo – und sprintete zum Sieg: “Ein riesiger Erfolg, mit dem ich nie gerechnet hätte.” Wer dort gewinnt, ist mehr als nur eine Sprinterin.

Rollenwechsel

Doch es ist noch eine andere Rolle als die der Siegerin, die Teutenberg besonders macht. Bei der Weltmeisterschaft im schweizerischen Mendrisio wird sie sich, immerhin Nummer sechs der Welt, Ende September wieder in den Dienst anderer Frauen in der deutschen Equipe stellen. Sie selbst glaubt nicht an eine eigene Chance auf den Titel, zu wenig ist der Parcours ihrer Meinung nach für Sprinter geeignet. Dafür spricht sie mit großem Respekt über die Chancen der Kolleginnen aus dem BDR-Kader, für die sie malochen möchte. Seien es Judith Arndt, Claudia Häusler, Trixi Worrack oder Luise Keller. Teutenberg wird für sie die “Edel-Domestike” geben. Ihr Leitsatz: Erfolg ist in diesem Sport ohne Team nicht möglich. “Was man gibt, bekommt man auch wieder zurück”, glaubt sie. Über prominente Fahrerinnen, die sich eher als Einzelkämpferinnen betrachten, verliert sie kein Wort – aber ihr Blick spricht Bände. Denn gerade im Frauen-Profi-Radsport ist das flexible Helfen wichtig: Die Teams sind kleiner, da muss die Sprinterin auch mal am Anstieg mithelfen.

Roßner spricht von Teutenberg als einem “Glücksfall”, der “für unsere Teamfamilie sehr wertvoll ist”. Und die Weltranglisten-Dritte Judith Arndt sagt: “Ich persönlich habe von Ina sehr viel gelernt, vor allem, dass der Radsport eine Mannschaftssportart ist.” Da nimmt man es auch mal in Kauf, wenn Teutenberg ihre Meinung vielleicht etwas vorschnell äußert oder – wie geschehen – beim Teamzeitfahren in die falsche Richtung fährt. Es liegt nahe, die Wurzeln dieser Qualitäten in ihrer Kindheit zu suchen, als die Familie auch Pflegekinder großzog und das Gemeinsame stets betonte.

Auch ihr Sieger-Gen kam früh zur Entfaltung: Ina-Yoko war sechs, als sie in die ersten Rennen startete – das einzige Mädchen unter Jungs. Das ging jahrelang so, erinnert sich ihr Bruder Sven. “Aber sie ist nicht einfach mitgefahren. Für sie ging es unter Jungen immer darum, Rennen zu gewinnen.”

Ein Bruch im Lebenslauf

Doch gerade ein Bruch im Lebenslauf hat die Karriere nochmals befördert. “Nach der Saison 2003 hatte ich keine Lust mehr auf meinen Job”, erzählt sie. Stattdessen fuhr sie einen Winter lang fast täglich Snowboard in den Rocky Mountains. Eine OP am Gesäß verlängerte die Auszeit, so dass Teutenberg ein Jahr pausierte. Dennoch gab ihr Bob Stapleton, der Chef des Team Columbia, die Chance, einen Vertrag beim damaligen T-Mobile-Team zu unterzeichnen. “Ohne Bob hätte ich nicht mehr zurückgefunden in den Profisport. Er ist eine Art Ersatzvater in Amerika für mich geworden.” In den Wintermonaten fahren sie in Kalifornien zusammen Rennrad. “Seit der Unterbrechung sehe ich die Dinge klarer”, sagt Teutenberg – der Blick auf ihre Erfolge bestätigt das. Vorher habe sie oft übersehen, welchen Luxus das Profileben bietet. “Das Leben als Radsportler ist toll – das will ich noch eine Weile genießen.” Vom Karriereende spricht sie noch nicht. Jetzt, mit fast 35, erlebt sie die beste Zeit ihrer Laufbahn. Ihr Vertrag läuft bis Ende 2010. Die Zukunft nach dem Radsport scheint weit entfernt. Die Pläne sind vage. Sie könne sich vorstellen, irgendwann einmal kleine Kinder an den Sport heranzuführen. Bewegung bedeutet für sie ein besseres Leben.

Roßner gibt Teutenberg auf diesem Niveau indes “noch fünf Jahre – mindestens. Wenn sie es will”. Und Teutenberg wirkt nicht, als schwinde bei ihr dieser Wille. Schließlich gibt es da noch ein großes Ziel, auch wenn sie wohl noch auf eine Strecke warten muss, die ihr eher passt: Profi-Weltmeisterin auf der Straße – das wäre noch etwas. “Aber”, sagt Ina-Yoko Teutenberg ohne Aufregung, “die Welt geht auch nicht unter, wenn ich das nicht schaffe.” Sollte sie aber die Zielgerade bei einem Championat mit den Besten erreichen – wenige könnten ihrem Willen und ihrer Schnelligkeit etwas entgegensetzen.

ZUR PERSON

Geboren: 18.10.1974 in Düsseldorf

Wohnort: Mettmann

Größe: 1,65 Meter

Gewicht: 62 Kilo

Profi seit: 2001

Teams: Saturn (2001–2004), T-Mobile (2005–2007), High Road/Columbia (2008–2010)

Wichtige Erfolge: Junioren-Weltmeisterin Punktefahren und Straße 1990; Thüringen-Rundfahrt 1996; Etappensieg Thüringen-Rundfahrt 2001 und 2002; Liberty Classic Philadelphia und Rotterdam-Tour 2005; Etappensiege Tour de l’Aude (2), Rotterdam-Tour, Gesamtzweite Weltcup 2006; Etappensiege Tour de l’Aude und Giro d’Italia (2), Liberty Classic, Gesamt-Dritte Weltcup 2007; Etappensiege Tour de l’Aude (2), Giro d’Italia (4), Route de France (3) 2008; Etappensiege Tour de l’Aude (3) und Giro d’Italia (3), Liberty Classic, Flandern- Rundfahrt, Deutsche Meisterin 2009

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  Rhein-Brücke als Symbol: Ina-Yoko Teutenberg lebt in den USA und in Mettmann
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  Unter Profis: Ina-Yokos Bruder Sven, selbst ehemaliger Radprofi, betreibt ein Radsport-Geschäft in Düsseldorf.
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  Verbunden: In Mettmann oder Amerika – Hündin Sophie ist immer an Ina-Yoko Teutenbergs Seite
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