

Test 2016: Schaltung Sram eTap
Top-Schaltung mit Funk: Sram eTap
Nach fünfjähriger Entwicklung und mehr als einem Jahr Erprobung im Profi-Peloton wagt SRAM in diesem Frühjahr den Marktstart seiner Elektroschaltung. Ein mutiger Schritt. Seit sieben Jahren dominiert Shimanos Di2 das Geschehen und schaltet immer noch per Kabel. Auch die neue Dura-Ace, die wohl 2017 kommt, wird ersten Bildern zufolge wieder Strippen ziehen. Und Campagnolos EPS, deren Prototyp wir schon vor mehr als zehn Jahren fuhren, kommuniziert ebenfalls per Kupferdraht. Konkurrent Mavic hatte schon 1998 das Schalten per Funk gewagt – es war bereits der zweite Versuch der Franzosen, nachdem ihr erster elektrisch betriebener Gangwechsler (ZAP, 1993) mit undichten Steckverbindungen untergegangen war. Wasserfest war die Funk-Gruppe, sie schaltete auch fein, aber leider nicht absolut zuverlässig, und so kam auch diese Pioniertat damals zügig – nicht an, sondern unter die Räder.
Neue Logik
Jetzt traut sich also SRAM an das heiße Eisen. Dabei kappen die Amerikaner nicht nur die Kabel, sondern erfinden auch das Bedienkonzept neu: Wie die mechanischen Double-Tap-Schalter haben auch die eTap-Griffe nur je ein Schaltpaddel. Aber die Bedienlogik ist ganz anders. Mit dem linken Griff wird die Kette nach links (auf ein größeres Ritzel) befördert, mit dem rechten Griff nach rechts (auf ein kleineres Ritzel). Drückt man beide Hebel gleichzeitig, wechselt der Umwerfer aufs jeweils andere Kettenblatt.
Das klingt kompliziert, ist aber bestechend einfach und eingängig. Verschalten kommt im Laufe der Testfahrten kaum vor. Links ein leichterer Gang und rechts ein schwererer – das hat man schnell intus. Da die Paddel groß sind, lassen sie sich auch mit dicken Handschuhen leicht bedienen – ein klarer Pluspunkt gegenüber Shimanos Di2, bei der man nicht immer genau die gewünschte Taste trifft. Auch die Bedienung des Umwerfers ist einfach; die Schalter tolerieren es, wenn man sie nicht völlig synchron drückt und bugsieren die Kette schnell und zuverlässig aufs andere Blatt.
Die Schalttasten haben einen markanten Druckpunkt und geben klare Rückmeldung. Die Kette wechselt am Zahnkranz nicht nur gefühlt etwas langsamer – verglichen mit der mechanischen Red oder auch einer Di2: Im Labor messen wir eine Reaktionszeit zwischen 11 und 16 Hundertstel Sekunden für das Schaltwerk. Die Di2 reagiert hingegen sofort. Das Schaltverhalten von SRAM und Shimano am Hinterrad ist ansonsten sehr ähnlich. Beide arbeiten hoch präzise, SRAM etwas lauter.
Hält man eine SRAM-Taste gedrückt, wechseln die Gänge in einem Rutsch durch, bis man wieder loslässt. Auch dieses Verhalten haben wir im Labor untersucht. Für die Bewegung von Ritzel zu Ritzel benötigt das Schaltwerk sieben Hundertstel Sekunden. Wird durch dauerhaften Druck in Reihe geschaltet, verharrt das Schaltwerk aber jeweils drei Zehntel Sekunden auf jeder Gangstufe – wohl um der Kette Zeit zu geben, vollständig auf das Nachbarritzel zu klettern. Einmal komplett durchschalten dauert so rund drei Sekunden. Shimano managt das vergleichbar, aber einen Tick schneller, nämlich in 2,8 Sekunden. Schneller geht’s bei SRAM, wenn man mit dem Zeigefinger stakkatomäßig auf die Tasten hämmert. Im Unterschied zur Di2 überschaltet das eTap-Schaltwerk nicht, sondern positioniert sich genau unter den Ritzeln.
Der eTap-Umwerfer besitzt die sogenannte Yaw-Technik seines mechanischen Pendants – das heißt, dass der Käfig nicht nur drückt sondern auch schwenkt. Der Umwerfer muss sich daher nicht nachjustieren, wenn sich die Kettenlinie ändert. Nur beim Schalten aufs größere Blatt überschaltet die eTap zwei Zehntel Millimeter und stellt sich danach selbsttätig zurück. Alle 22 Übersetzungen lassen sich schalten, ohne dass die Kette schleift.
Die Schaltleistung ist mit den original SRAM-Blättern sehr gut, sie erreicht nur unter Last nicht ganz das Niveau von Shimano. Mit den Specialized-Blättern am Venge Vias, einem unserer Testräder, schaltet der Umwerfer unter Last weniger überzeugend, hier wird die Kette nur bei jedem zweiten Versuch sicher und ohne zu rappeln aufs größere Blatt gehoben. SRAM empfiehlt ausdrücklich, nur die Original-Blätter zu verwenden. Shimanos Di2 ist diesbezüglich nach unserer Erfahrung weniger empfindlich. An der Motorpower liegt es nicht, denn die Umwerfer von SRAM und Shimano entwickeln die gleiche Schaltkraft. Beide drücken im Testaufbau mit bis zu 110 Newton seitlich gegen die Kette.
Stromversorgung
Schaltwerk und Umwerfer beziehen ihren Strom aus untereinander tauschbaren Lithium-Ionen-Akkus mit 300 Milli-Ampere-Stunden (mAh). Die 24 Gramm leichten Energiespeicher werden mit einem Hebel verriegelt und lassen sich ruck, zuck wechseln. In den Griffen dagegen steckt jeweils eine CR-2032-Knopfzelle, deren Wechsel deutlich fummeliger ist. Hier sind drei sehr kleine und kurze Schrauben zu lösen, die leicht verloren gehen können.
SRAM sagt, die Akkus würden für 1.000 Kilometer reichen, die Knopfzellen zwei Jahre. Wir wollten natürlich wissen, ob das stimmt. Dazu montierten wir die Schaltung mit vollen Akkus und bei 18 Grad Umgebungstemperatur auf einen Prüfstand, an dem ein Servomotor die Hebel betätigte. Beim Umwerfer blieb das Zählwerk nach 8.000 Schaltvorgängen stehen, das Schaltwerk schaffte 16.000. Geschaltet wurde alle drei Sekunden. Die Knopfzellen in den Griffen hatten unter diesen Bedingungen Saft für 70.000 Gangwechsel hinten.
Was das in Kilometern bedeutet, hängt vom Fahrstil ab; die spielerisch leichte Funktion verführt jedenfalls zu häufigerem Schalten. Die Angaben von SRAM erscheinen angesichts unserer Messwerte aber eher konservativ. Plötzlich ohne Strom auf der Strecke zu stehen, ist ziemlich unwahrscheinlich.
Über den Ladezustand informieren separate LEDs in allen Komponenten, die bei jedem Schaltschritt aufleuchten. Bei unseren Versuchen begann die Schaltung rot zu leuchten, wenn noch 10 bis 25 Prozent Restkapazität vorhanden war. Kurz vor Ende beginnen die Anzeigen zu blinken. Wenn man nicht gerade beim Race Across America auf der letzten Rille radelt, sollte also immer genug Zeit für einen Wechsel bleiben. Fällt der Strom aus, geht allerdings nichts mehr; das Schaltwerk lässt sich nicht von Hand positionieren.

Schaltung Sram eTap: Für eine volle Aufladung des Akkus benötigt das Ladegerät knapp 1,5 Stunden.
Störfunk
Bleibt die Frage, wie sicher die drahtlose Kommunikation ist. SRAM gibt an, im 2,4-GHz-Band zu funken, mit einem eigenständigen Protokoll und natürlich verschlüsselt, sodass nur zugehörige Komponenten reagieren. Die Amerikaner sagen, dass sie sich sogar Hacker ins Team geholt haben, um die Schaltung sorgfältig zu verschlüsseln und unangreifbar zu machen. Dass jemand von außen die Kontrolle über die Schaltung übernimmt – etwa um einen Konkurrenten zu stören – ist damit wohl unwahrscheinlich.
Aber: Das 2,4-GHz-Band ist belebt und wenig reglementiert. WLAN, Bluetooth, ANT+ und vieles mehr tummelt sich dort. Wie störanfällig ist vor diesem Hintergrund das Schaltsystem? Was passiert, wenn andere auf der gleichen Frequenz funken? Um das zu untersuchen, sind wir ins Labor für Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) der Uni Stuttgart gegangen und haben die Technik dort vom EMV-Experten Malte Neumann untersuchen lassen (siehe "Störfunk" auf Seite 71). Im Rahmen des technisch Möglichen habe SRAM einen guten Job gemacht, urteilt der Elektro-Ingenieur. Man muss die Frequenz der Schaltung schon sehr genau treffen, um sie zu stören. Funkt man dann mit ordentlich Sendeleistung, reagiert die Schaltung nicht mehr, die Frequenz ist dann "verstopft", Schaltschritte fallen aus. Da die Daten aber nur für die Dauer von Millisekunden übertragen werden, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass andere Schaltungen mit der eigenen interferieren. Verlorene Schaltbefehle werden zudem nachgeholt, sobald – salopp gesprochen – die Leitung wieder frei ist. Das kann minimale Verzögerungen zur Folge haben, bedeutet aber kein Aus für die Kommunikation.
Versuchsweise haben wir die Kreise der eTap auch mit hoher Leistung im Mobilfunk-Frequenzbereich gestört – laut Experte Neumann das wahrscheinlichste Szenario. Aber davon zeigte sich die eTap unbeeindruckt, egal wie stark wir störten. Im Rennbetrieb bleibt letztlich das Restrisiko eines Störsenders, der die Frequenz genau trifft – damit ließe sich die Schaltung theoretisch "einfrieren". Das würde allerdings erheblichen Aufwand bedeuten und auffallen, weil dann auch eine Menge anderer Geräte gestört würden. Als Hobbysportler hat man diese Sorgen freilich nicht und genießt das kabellose Design und den hohen Schaltkomfort.
Installation
Ohne Kabel geht die Montage leicht von der Hand. Am meisten Zeit beansprucht die Ausrichtung des Umwerfers. Alle Komponenten müssen zunächst gepaart werden, was binnen einer Minute erledigt ist. Funktionstasten an Schaltwerk und Umwerfer gestatten deren Bedienung ohne die Lenkergriffe, was für Einstellarbeiten sehr praktisch ist (und es notfalls erlaubt, mit leeren Griffbatterien den Gang zu wechseln). Nur für die Feineinstellung des Schaltwerks müssen die Funktionstasten der Griffe betätigt werden, mit denen man die Schaltung auch unterwegs justiert. Drückt man Schaltpaddel und Funktionstaste gleichzeitig, ändert das Schaltwerk seine Position in Schritten von 0,25 Millimetern.
Eine Individualisierung der Schaltung per Software, also zum Beispiel ein automatisches Schalten in Reihe, wie es bei Shimano oder Campagnolo möglich ist, bietet SRAM zunächst nicht. Aber ein ANT+ Modul, mit dem sich künftig Informationen, wie der eingelegte Gang, an Garmin-Computer übermitteln lassen sollen, ist eingebaut.
Wichtiger dürfte die mechanische Individualisierung sein: An jeden Griff lassen sich per Kabel bis zu zwei Satelliten-Schalter anschließen, sogenannte Blips. Damit kann man vom Oberlenker oder im Lenkerbogen schalten, wie mit Shimanos Sprint-Schaltern. Die Zusatzschalter lassen sich unter dem Lenkerband verlegen, dann muss man fester draufdrücken. Den Bedienkomfort der Shimano-Sprintshifter erreichen die SRAM-Satelliten nicht ganz.
Es funkt!
SRAMs eTap ist ein starkes Stück Technik mit überzeugendem Bedienkonzept. Wenn die Schaltung im Rennsport besteht, werden die anderen Hersteller unter Druck geraten, nachzuziehen und Kabel durch Funk zu ersetzen. Der offizielle Preis für die komplette eTap-Gruppe liegt bei 2.692 Euro, Nachrüst-Sets für die mechanische Red werden ab 1.545 Euro angeboten.
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