

Pässe-Spezial
Pässe zu bezwingen ist seine große Leidenschaft: TOUR-Autor Dres Balmer hat zahllose Anstiege der Alpen und Pyrenäen bereits mit dem Rad erklommen, die meisten schon mehrmals. In seinem Essay erläutert er seine persönliche Idee des Pässefahrens.
Pässe trennen Landschaften, Kulturen, Sprachen und Länder. Passstraßen wollen das Gegenteil, sie verbinden. Doch mit dem Fahrrad über Pässe zu reisen, ist ein ziemlich mühsames Unterfangen. Menschen, die so etwas nicht machen, schütteln den Kopf und fragen sich, wieso Radler sich das freiwillig antun. Sie tun es ganz einfach, weil der Pass da steht, weil er sich vor ihnen tausende Meter hoch auftürmt, weil der Pass einen bestimmten, klingenden Namen trägt, weil er 48 schöne Serpentinen hat und oben mit Schnee garniert ist wie eine Torte mit Sahne. Sie tun es, weil es auf der anderen Seite wieder hinunter geht in ein anderes Tal, in eine andere Sprache, ein anderes Land, wo man herausfinden möchte, was Träume taugen. Das ist etwas Starkes, Einfaches, Elementares, Urmenschliches, und es hat wohl mit Sehnsucht zu tun.
Pässe sind Kulturgut. Sie haben zu tun mit Geschichte, mit Geschichten, mit schönen und weniger schönen. Oft wird der völkerverbindende Charakter von Pässen beschworen, der Übergang ins Land besungen, wo die Zitronen blühen. Doch denkt man etwa ans Stilfserjoch, keimen Zweifel: Eine der fürchterlichsten Schlachten des Ersten Weltkriegs wurde an diesem damaligen Grenzpass geschlagen. Drei Winter lang piesackten sich dort Tiroler und Italiener, am Schluss waren mehr als hunderttausend Männer dem Gemetzel zum Opfer gefallen. Die neutralen Schweizer saßen auf der nahen Dreisprachenspitze im Bunker und schauten mit dem Feldstecher zu, wie man Weltgeschichte macht.
Heute geht es an Pässen zum Glück friedlich zu. Sie warten auf uns, damit wir auf sie hinaufradeln. Doch gegen die Natur, gegen die Landschaft können wir nichts machen, auch nicht auf einen Pass radeln. Natur und Landschaft sind immer stärker, wir müssen sie uns zu Freundinnen machen. Lassen wir uns auf die Steigung ein, treten wir mit ihr in einen Dialog. Freude entsteht, wenn wir mit den Bergen sprechen, ihre Launen mit Beinen, Atem, Herz, Augen und Verstand aufnehmen. Hat man ein paar Kilometer in den Beinen, kann man mit der Passstraße spielen, gerät nie in den so genannten roten Bereich. Wenn es in den Schläfen pocht, nimmt man Kraft zurück, denn es ist unschön, mit violettem Kopf oben anzukommen.
Zu Beginn des Aufstiegs wird man oft von ungestümen Radkameraden überholt. Manche grüßen nicht einmal. Das ist ärgerlich, und im ersten Moment denkt man: „Dem werd ich’s zeigen“, setzt nach. Gescheiter ist es, sie ziehen zu lassen und dem eigenen Rhythmus treu zu bleiben. Oft trifft man die Herrschaften weiter oben ohnehin wieder, im roten Bereich, nach Luft schnappend, unansprechbar. Manchmal kommt es anders: Man grüßt sich, kommt ins Gespräch, spannt zusammen, spielt gemeinsam mit dem Berg, löst sich ab in der Führung, ermutigt sich, erzählt Radlerlatein. Ehe man sich versieht, ist man oben. Stolz und ein bisschen traurig, dass es schon vollbracht ist. Die Passhöhe ist windig, die Preise sind überzogen, die Souvenirs kitschig. Doch all das ist einem egal, und auch Kaffeemaschine, Bank und Lotterie sind einerlei. Denn jetzt steigt die wohlige Passradler-Glückseligkeit in einem hoch.
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